Manuskript: Angst in Arial

Aus heiterem Himmel wird ein Mann aufgefordert, über seine langjährigen Ängste nachzudenken. Begleitet von Straßenjunge verselbstständigt sich das Schreiben, demütigende Kindheitsszenen tauchen auf, zudem Erinnerungen an Arbeitswelten und die Arbeitslosigkeit in den 80er Jahren. Er erinnert sich an eine ungewöhnliche Liebe und an die Zeit als Punk, in der er seine Suche nach Bildung, politischer Orientierung und Liebe auf eigene Füße zu stellen versuchte.

Ein Roman über Männlichkeit und die verdrängten Gefühle einer Generation, deren Eltern den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebt hatten.

Folgend die Kapitel 1 bis 8, 17 bis 20 sowie 31 und 32:
 

  • Genre: Roman / "Neue Sachlichkeit"
  • Umfang: 234 Seiten, 69449 Wörter
  • Zeit: 60er bis 90er Jahre und Gegenwart

Kapitel der Leseprobe

  • Kapitel 1
    Der Protagonist bekommt von einem Fremden einen Brief zugesteckt und staunt über den Inhalt. —>>
     
  • Kapitel 2
    Der Protagonist trinkt erst einmal Kaffee und erfreut sich einer Gewissheit. —>>
     
  • Kapitel 3
    Dem Protagonisten fällt die Kindheitserfahrung ein, zu sterben, ohne zu wissen, was der Tod ist. —>>
     
  • Kapitel 4
    Der Protagonist taucht noch etwas tiefer in seine Kindheit ein, spürt der harten Hand der Mutter und der Beständigkeit mancher Träume nach. —>>
     
  • Kapitel 5
    Der Protagonist exkurst über Twitter und virtuelle Liebe im Zeitalter der Apps und Messenger. —>>
     
  • Kapitel 6
    Der Protagonist erinnert sich an zwei Unfälle, die bisher nicht in seinem Portfolio der Angsturgründe waren. —>>
     
  • Kapitel 7
    Der Protagonist führt seine erste Liebe ein. Das ungleiche Paar macht Urlaub in Großbritannien und wird sich nicht wieder los. —>>
     
  • Kapitel 8
    Der Protagonist taucht in das Vorspiel zu seiner ersten Therapie ein: Er wird nicht glücklich mit abhängiger Arbeit und entdeckt den Punk. —>>
     
  • Kapitel 17 bis 20
    Der Protagnoist findet neue Freunde in der Punk- und Kifferszene, verliert eine Freundin, weil sie ihm die Wahrheit sagt und landet unerwartet im dunklen Wohnzimmer von drei Nazi-Skins. —>>
     
  • Kapitel 31 und 32
    Der Protagonist wird vom "Schlag getroffen" und geht so in das Finale seiner unglücklichen Liebe. Er versagt seinen Sohn die Liebe und wird zuvor im Hausflur von böser Scham überrascht. —>>

 

1 

Plötzlich steht ein Mann vor mir. Einer wie aus der Zeit gefallen. Kariertes dunkles Hemd, die Hose Richtung Achseln, reichlich Stoff. Ein Jacket wie eines für Arme aus Babylon Berlin, der Schnäuzer ein Relikt. Er fragt, ob ich eine Sekunde Zeit habe. Ich bin nicht bester Laune, denke, ob man nicht wenigstens im Stadtpark seine Ruhe haben könne. Höflich bejahe ich. Unvermittelt holt er aus der Innentasche seines Jackets einen weissen Umschlag heraus. Ich schaue ihn fragend an.

„Der ist für sie!”

„Für mich?”

„Das kommt etwas überraschend, in der Tat.”

„Ja.”

„Nehmen sie ihn bitte und öffnen sie ihn, wenn ich wieder weg bin.”

„Wenn sie weg sind?”

„In vier Wochen komme ich wieder. Um die gleiche Uhrzeit, um 11 Uhr.”

„11 Uhr?”

„Ich erwarte Sie. Bei jedem Wetter.”

„Hoffentlich schüttet es nicht!”

„Bitte bringen Sie eine Antwort auf meinen Brief mit.”

„Was für ne Antwort?”

„Das alles klinkt etwas verrückt. Aber bitte keine Fragen. Das ist das Spiel.”

„Ach so, ein Spiel.”

„Nehmen Sie ihn? Sie müssen ja nicht.”

Das war schon fast frech! Baff sitze ich da. Er steht vor mir und streckt mir beharrlich den Brief entgegen. Sein flattriges Hemd erinnert mich an meinen Opa. Wenn der Schnäuzer nicht wäre, wäre die Ähnlichkeit erstaunlich, das sehe ich jetzt: Die gegerbte Haut, die Halbglatze, der runde Kopf und breite Mund. Der freche Fremde lächelt nicht mehr, um seinen Mund legt sich flüchtig Einsamkeit, die etwas auslöst in mir, etwas vertrautes. Ich schaue oft auf Münder, länger als in Augen, als wollte ich die Worte beim Ausströmen beobachten und die Stimme in Gestalt. Ich sehe mich den Brief nehmen. Der Mann nickt zufrieden, als habe er nie an mir gezweifelt. Er würde sich ausserordentlich freuen, mich in vier Wochen wiederzusehen. Ausserordentlich! Zackig hebt er die Hand zum Gruß und geht zügig ohne ein weiteres Wort fort. Mit angespannter Stirn schaue ich ihm nach. 

Ich sehe mir den Briefumschlag an: Centware, dünn als sei er leer. Sehr sauber zugeklebt. Kohle? Glaube ich nicht. Ich drehe und wende ihn, kein Wort weit und breit. Endlich stehe ich auf. Ich schaue nach dem seltsamen Mann, der anfängt, mir unwirklich vorzukommen. Wie vom Erdboden verschluckt! Oben auf der Anhöhe ein Paar, darüber gerupfte Baumkronen, gefolgt von mattem Blau. In der anderen Richtung des Weges, auf dem der Fremde verschwand, ein Jogger, der gleich vorbeitraben wird. Lakai der Schwerkraft! Ich setze mich, stehe wieder auf und gehe ein paar Schritte. Kies knirscht. Wieder bleibe ich stehen und fixiere den Mülleimer, gleich neben der Eisenbank. Ich schaue hinein als sei ich ein einsamer Sammler. Plastikflasche, Rotztücher und eine zerknüllte Zigarettenschachtel.

Impuls: Rein damit! 

Kontrolle: Keine Hektik.

Im Auto schaue ich mich um, als hätte ich etwas Verbotenes getan. Ich beobachte den Verkehr in der vagen Erwartung, dass der fremde Mann vorbeifährt. Ich könnte auch den Umschlag öffnen, aber irgendetwas will mich auf die Folter spannen. Der kleine Finger passt schon einmal nicht in den Spalt. Nicht die kleinste Lücke! Dann eben Taschenmesser. Habe ich am Schlüsselbund. Daumenlang, mit Kronkorkenkiller, den ich nur noch selten brauche. Dazu eine putzige Pinzette und eine scharfe Klinge. Letztere optimal für Briefe, die nervtötend verklebt sind und trotzig zu häßlichen Läsuren neigen. Ich schneide sauber, das ist meine Art. Ich hole ein Blatt heraus und entfalte es, als spielten meine Finger Akkordeon. Wie ich das Blatt auch drehe und wende, da steht nur ein Wort. Oben am Rand, zentriert, schmächtig und klein. 10 Punkt wahrscheinlich. Schriftart Arial, da bin ich mir sicher. Das Wort: Angst. 

Volltreffer.

Mit Angst kenne ich mich aus, behauptet ein vorlauter Cortex mit Verbindungen zur Unterwelt. Angst essen nicht nur Seele auf. Angst essen auch Körper auf. Angst sind Körper. Ich habe Angst gekaut in allen Garstufen und Konsistenzen: Roh, zäh, hart, weich, schleimig; knusprig auch, wie Chips, die zwischen den Zähnen in tausend Stücke brechen! Gewürzt mit bitterem Mandelkern und einer Kelle Amygdalasoße. Serviert auf schwarzen Traumgedecken für das Angstschlemmern im Schädelgrab. Die nächste Angstportion dünstet bereits und hebt ihre Dämpfe ins Oberstübchen.

Beklemmung köchelt in meiner Brust. Ich will sie nicht, ist der erste Impuls. Der zweite: Ich lasse sie. Ich weiss, allein das Lassen hilft, dann verzieht sie sich von selbst, hadernd manchmal, mürrisch oft, aber sie verzieht sich. Ankämpfen, eine Spielart der Flucht, ein Beharren auf Selbstverlust. Die Empfindsamkeit spielt nicht mit, seit sie mir wieder eigen ist. Toll! (°;°), höre ich Straßenjunge spötteln, der Kumpel aus alten Tagen, der mit der unverblümten Sprache, die manchmal ziemlich platt. Wer sagt, dass sie nicht auch etwas Wahres sagen kann. Ich nicht.

Der Mund des Fremden. Dieses kurze bittere Pressen der Lippen, als sei Leid darin verdichtet. Fest steht, dieser Mann ist nicht mein Opa (das ist beruhigend). Der Opa meiner Kindheit war gut zu mir. Der Opa meiner Kindheit ist lange tot. Wie lange eigentlich? Dreißig Jahre? Eher vierzig. Ich weiss es nicht genau, ich habe die Jahre nie gezählt. Er war immer nur ein Opa meiner Kindheit und als er tot war, so kommt es mir, war nur meine Oma traurig. Was war mit meinen Eltern? Deren Verlogenheit musste die Oma plötzlich ohne ihren Mann ertragen. Auf meinen Vater, ihr einziger Sohn, war kein Verlass. Auf seine Frau, meine Mutter, erst recht nicht. 

Meine Mutter. Eine haltlose Frau, über die meine Oma kein gutes Wort verlor. Die nur fürs Putzen und Kinderkriegen gut sei. Nicht einmal schreiben könne sie! Katholikin noch dazu! Falsch und verlogen, wie alle Katholiken. Eingedrungen sei sie in den Frieden der Familie! So schimpfte die Oma, die sich oft genug betrogen sah. Geliehenes Geld sah sie nie zurück. Ich erinnere ihre bitteren Lippen, ihre dunkelbraunen Augen, Rettungsinseln meiner Kindheit. Sie ist der einzige Mensch, deren Augenfarbe ich nicht vergessen habe, deutlich sehe ich sie vor meinen Augen. Ich schaue hoch und sehe es mich tun: Brief wegstecken, Auto starten und losfahren mit Angst in Arial.

 

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Ich bin unschlüssig, weiss nicht, ob ich stehen oder sitzen, ob ich Wasser oder Kaffee trinken will, ob ich einfach weitermache wie bisher oder endlich einen Stift in die Hand nehme. Vertraute Unschlüssigkeit. Immer mit der Ruhe, denke ich und mache mir einen doppelten Espresso. Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf die Crema, die süffig über die Zunge läuft. Sekundenmeditation mit versöhnlichen Bitterstoffen aus dunkler Schokolade, mich beruhigen und mit dem warmen Gesöff meine Zweifel schlucken. Noch bevor ich es weiss, ist die Entscheidung gefallen. Ich werde das "Spiel" mitspielen. Der Typ wird seinen Text bekommen und beim nächsten Treffen werde ich vorbereitet sein und hartnäckig meine Fragen stellen. Schwungvoll drehe ich das Glas mit dem Rest Espresso, damit sich die Crema von der Glaswand löst und sich versöhnlich auf das Schwarz des Kaffees legt. Endlich setze ich mich, schaue nach Draußen. Ich habe drei Fenster, die die Breite des Raums markieren, in dem ich esse, wohne und arbeite. Ein seltsamer Himmel heute, auf dem ersten Blick wie Milch, die sich weit ergossen hat, als wäre Gott ungeschickt gewesen. Ich sehe kaum wahrnehmbare Verläufe und hoch oben zwei Rotmilane. Erstaunlich schnell entfernen sie sich in gleitenden Spiralen von mir weg und verschwinden im Himmel, der wieder ein anderer ist: Ein vergossener Milchshake aus grauen Früchten. Ich schaue auf den Briefumschlag, der bereits leicht verknittert ist und nach wie vor keinen weiteren Hinweis enthält. Nicht einmal einen Kaffeefleck!

Ich lache, weil ich eine Gewissheit habe. Ich habe sonst keine Gewissheiten, aber eine habe ich: Die Angst vor dem Tod  wie ein aufspringendes Schnappmesser im Kopf, die kann mir nichts mehr anhaben. Angst vor dem Sterben, wer hat sie nicht. Angst vor plötzlichem Mannstod, ich nicht mehr.

Suche dir eine aus, eine Nacht, sage ich dem Angstkalmar, schiesse auf aus Tiefseeträumen, mache Chaoswirbel im seekranken Kopf, ziehe ihn ins Wasserdunkel bis alle Luft vergeben; sensationiere den Körper nach allen Regeln der Panikkunst. Und? Die Angst macht mir keine Angst mehr; selbst die Angst der tiefen Nacht zieht die Arschkarte. Sie hat verloren; ich habe sie ertränkt im Weinebad; das war kein Wellness für die Seele.


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Als kleines Kind hatte ich erstickend Schreien müssen, ohne zu wissen, was der Tod ist. Ich hatte noch keinen Verstand. Ich war in dunkelster Angst, die bis heute ihr Eigenleben führt. Aber ich habe sie durchschaut. Immerhin. Ich erkannte die Einsamkeit des Kindes, die in Kellern und Winkeln Ungeheuer, im Dämmerlicht und unter Betten Monster schuf. Ich erkannte die Einsamkeit der langen Jahre, die böse Gestalten und vage Bedrohungen lebendig werden und über Nacht und Tagtraum hinaus weiterleben ließen. Ich habe sie in Worte gebannt.

°_! : Bravo! Wurde auch Zeit! (Straßenjunge wieder). Die Zeiten des Bullemanns und Schornsteinfegers, die dich holen und bestrafen würden, sind schließlich vorbei, sind nur noch wie ein Hauchen der Erinnerung. Der Gewalt der Sprache bist du längst nicht mehr ausgeliefert. Weit entfernt bist du von der großkotzigen Sprachlosigkeit der Kriegsgeschädigten, die ihre Traumata nie zu be!greifen in der Lage – waren.

Der Lieblingsonkel, der Freizeitsadist, der lange tot, der spukt in meinem dösigen Kopf herum. Uns Neffen kitzelte er, bis uns die Luft wegblieb, bis uns die Tränen kamen, danach sein Spott. Er spendierte manche Mark, auf die wir hofften! Er gab die Münze nicht, er warf sie, wie man Futter ins Gehege wirft.

Gehege. Ein harmloses Wort. Von wegen! Synapsen zittern, Nacken und Schultern machen auf ganz hart. Der Körper gibt alles, nachtragend wie er ist. Versöhnung sieht schwarz. Na und! Ich werfe dem Körper Erinnerungen vor die harte Haut, so beruhigt er sich wieder. Der Kopf ist für was gut.

Ausflug im Wildpark, du warst zarte Fünf oder schon gehärtete Sechs, du warst unterwegs mit Onkel, Tante, Eltern und drei Geschwistern. Vielleicht warst du etwas vorlaut, vielleicht verlangtest du ein Eis, vielleicht standest du auch nur da und wolltest über den Zaun schauen, verlangtest Teilhabe, die Du erkämpfen musstest. Dein schlaksiger Onkel nahm dich unter die Arme, hielt dich über den Abgrund, der mit krachender Tiefe drohte. Er lachte dir an den Hinterkopf und drehte dich riskant, um dein erschrockenes Gesicht zu geniessen. Er liess dich nicht fallen, aber du fielst, tief im Kopf, lange noch danach. Deine Mutter sagte, jetzt ist’s gut, dein Vater war schon weiter; Richtung Erfrischungsbude, ein Bier war fällig. Zur Kühlung des Schocks gab es Eis. Deine verhaltene Freude war ihnen auch nicht recht. Undankbares Kind! — Das war die Zeit.

Wir wohnten damals in einer alten Schule; in einem Klassenzimmer. Die ausgediente Grundschule diente als Notunterkunft für Familien mit vielen Kindern. Wie alle Familien, die dort wohnten, fanden sie keine Wohnung. Mehr als zwei Kinder waren verdächtig. Die Babys boomten und der Wohnraum kam nicht nach. Als wir in die Schule zogen, hatte ich noch vier Monate bis zur Einschulung. Langweilig wurde mir nicht. Ich war immer draußen. Alles um mich herum war ein riesiger Abenteuerspielplatz. Die größeren Kinder, wild, gemein und mit dreckigen Gesichtern, führten mich ein. Wenn sie aufbrachen, um die Gegend zu erkunden, um früher oder später irgendeinen Mist zu bauen, ging ich einfach mit, auch wenn sie mich anfangs loswerden wollten. Sie erzählten gefährliche Geschichten, die in meiner Welt zu fatalen wurden. Auf einer Müllkippe in der Nähe überfielen sie einen Berg Elektroschrott und ein Junge zeigte auf eine große Platine, auf dem Kondensatoren sassen so fett wie kleine Bomben. Es roch nach verstaubten Röhrenradios und kaltem Brand. Der große Junge sagte, pass auf, die explodieren! Als ich erschrocken zurückwich, lachten sie wie böse Hasen mit hämischen Gesichtern.

In der Nähe gab es einen Schrebergarten. Dort trieb ich mich oft herum. Ich spielte auf einem Platz, von dem die Wege zu den Parzellen abgingen. Plötzlich steuerte eine Libelle auf mich zu. Ich hörte ihre Flügel brummen. Ich war nicht fähig, einen Schritt zu gehen. Ich erstarrte. Blitzschnell bog die Libelle ab und umkreiste mich. Wenn sie mich sticht, bin ich tot. Wenn sie mich sticht, bin ich tot! Sie flog unberechenbar und die Zeit wurde zur Ewigkeit. Als sie plötzlich verschwunden, wagte ich mich noch nicht weg. Dann lief ich endlich zur Straße und sah mich immer wieder um. Ausser Atem erreichte ich das große Treppenhaus der Schule, in das eine schmale Tür führte. Von oben hallten Stimmen herunter. Verwirrt stand ich in dem großen kühlen Raum. Einer der Jungen hatte gesagt: Libellen stechen, dann stirbt man! Wirklich! Frag die Anderen! Ich fragte nicht, ich glaubte es.


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Ich war seit knapp drei Wochen eingeschult gewesen, als ich das erste Mal die Schule wechseln musste. Müllkippen und Schrebergärten, Keller und Dachböden waren plötzlich verschwunden. Die neue Wohnung lag an einer viel befahrenen Straße, schräg gegenüber ein Parkplatz für LKWs, die schwere Ringe aus Stahl abholten. Neben dem verrußten Backsteinhaus, in das wir einzogen, eine große Wiese, auf der mittig ein verdorrter Baum stand, grau und kahl. Die Wiese wurde für ein paar Jahre unser Spielplatz für zwischendurch. Einen Plastikball mit Picke vor sich her treten, bis er auf die Straße rollte und kaputtgefahren wurde. Ameisen mit Steinen in den Staub drücken und hoffen, dass Gott das nicht sieht. Um die Wette laufen, wer zuerst den toten Baum erreicht. Der Baum war mir unheimlich, ich mied ihn, wenn es keiner sah.

In der neuen Schule fand ich keinen Anschluß. Ich stand mit verschränkten Armen und schaute trotzig mit leicht geneigtem Kopf dem Geschehen entgegen. Einem Tier von Kind, eine Schulter breiter und einen Kopf größer als ich, gefiel das nicht und es begann, mich zu hänseln; bis ich meine Wut auspackte. Ich rammte den Kopf in den Bauch. Da hatte er einen Heizkörper im Rücken und rang erstaunt nach Luft. Danach ließ er mich in Ruhe. Freunde gewann ich auch später nicht auf dieser Schule. Stattdessen kam noch ein Bruder dazu, so dass ich plötzlich drei davon hatte. Zum Glück war in der Wohnung mehr Platz als im Klassenzimmer der alten Schule. Wir hatten wieder ein Wohnzimmer, dass mir in guter Erinnerung bleiben sollte. Dort bekam ich zur Weihnachtszeit eine Ohrfeige, die knallt noch heute in meinem Kopf. Kein Wunder, lag darin die ganze Wut der Mutter. Mein Bruder, ein Jahr nach mir gekommen, bekam das Geschenk, das ich mir sehnlich gewünscht hatte: Eine Loopingbahn für jene kleinen Metallautos, die viele Jahre auf der Jagd nach Bösewichten und auf der Flucht vor Familienzwist meine Retter waren, wenn ich mich, den Kopf auf dem Arm, am Boden verkrümelt hatte und leise scharfe Kurven fuhr. Ich protestierte gegen das gebrochene Versprechen und packte nur widerwillig mein Geschenk aus. Ich ahnte die Enttäuschung.

Auch die Küche war ein besonderer Raum. Wir badeten dort am Wochenende in einer Zinkwanne, vier Kinder in einem Rutsch. Wenn wir uns dort lauthals stritten, dauerte es nicht lange und meine Mutter verlor verläßlich die Nerven. Als Erstgeborener war ich für sie grundsätzlich der Schuldige. Dann schrie sie wütend auf, kam wie eine Furie auf mich zu und drosch ein mit Kochlöffel, Gürtel oder flacher Hand. Als ich auf die Neun zuging, fing ich an, Fluchtwege vorauszudenken. Als ich auf die Zehn zuging, entwischte ich flink ihren Schlägen. Ich tauchte ab unter dem Küchentisch, um von dort zur Tür zu rennen, die zum rettenden Treppenhaus führte. Die Haustür unten war aus schwerem Holz und hatte ein blindes Fenster mit einem Metallgitter davor. Ich zog sie mit Kraft auf und drehte mich noch einmal um. Oben stand meine Mutter und drohte mit dem Vater, längst nicht mehr so laut. Ich sprang flink über zwei Steintreppen ins Lärmen des Verkehrs und überließ mich dem Tagtraum, irgendwohin abzuhauen.

Kurz bevor wir aus dem Haus ausziehen mussten, es sollte abgerissen werden, bekamen wir einen Fernseher. Er sedierte die Familie. Streit und Neid im Geschwisterleben wurden weniger, schneller vergessen als vorher. Vor dem Fernseher herrschte Frieden, keiner sprach, alle waren gebannt.

In diesen Jahren träumte ich viel. Ich war kurz vor dem Ertrinken oft. Ich stürzte tief, ohne zu zerschmettern. Ich landete sanft, wie durch ein Wunder. Immer. Ich erinnere diese Träume deutlicher und schärfer als Erinnerungen, die lange sehr präsent waren, dann aber verblassten, sich abnutzten, zu privaten Klischees wurden oder ins Vergessen fielen. Eine Handvoll Träume blieben, als wollten sie all meine Zeit auf der Erde überstehen, als seien sie Bilder in Bernstein. Oft schwebte ich über Landschaften. Aus eigener Kraft überwand ich die Schwerkraft. Ich bewegte die Arme beharrlich auf und ab, hoch konzentriert, bis ich langsam abhob. Zentimeter für Zentimeter. War ich Baumkronen und Laternen nah, schwebte ich über kleine Häuser und wich Stromleitungen aus. Allein der Glaube hielt mich oben. Selbst im Traum wusste ich, dass ich keine Gewissheit haben könne, oben zu bleiben. Ich blieb oben und staunte im Traum darüber. Nach dem Aufwachen nahm ich mir vor, das draussen jemandem zu zeigen, ohne zu wissen, wem. Manchmal flog ich schnell und gefährlich nah der Bürgersteige und Straßen. In Landschaften hinein, über Wiesen und Teiche, durch Schilf und Gebüsch, durch Lichtgewebe zwischen Bäumen. Die Träume waren meine Freunde, auch wenn mir manchmal die Luft wegblieb. Über die Jahre wurden sie dunkler, unterwandert von bodenloser Angst. Steigendes Wasser, immer höher, Flucht bis aufs Dach, das Haus sah aus wie die Bonanza-Ranch. Mit Wasser bis zum Hals erwachte ich.

Einige Monate vor Abschluss der Grundschule stand wieder der Umzugswagen vor der Tür. Der Fortschritt duldete keinen Aufschub und wir zogen in eine städtische Wohnunterkunft. Lohnpfändungen ließen uns keine andere Wahl.


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Schlechte Nacht gehabt. Träume? Fehlanzeige. Dafür Kopfschmerzen, ein harter Nacken zerrt am Hinterkopf. Das ignoriere ich und mache mein Programm: Den Rest von gestern wegspülen, Tee aufsetzen, Dehn- und Kraftgezappel gegen den unaufhaltsamen Rost im Körper. Die Devices, die mich scheinbar aber ständig mit der Welt da draussen verbinden, lasse ich liegen. Ich bin häufig offline in letzter Zeit. Ein Kunststück in meinem Beruf. Ohne ständigen Input bin ich aufmerksamer, konzentrierter. Die Tage kommen mir länger vor, vielleicht weil ich mehr wahrnehme von dem um mich herum. Ich bin insgesamt zufriedener, das soll was heißen. Ab und zu öffne ich Ecosia, wenn ich etwas wissen will. Emails nur Vormittags und zuletzt am frühen Abend. Einmal am Tag schaue ich in die Zeitungsapp. Ich überfliege die Artikel nicht, ich lese sie. Nur für Kunden rufe ich soziale Netzwerke auf. Wenn ich die Trends auf Twitter lese, bekomme ich Schüttelfrost. Ich erinnere ich mich an mein exzessives Twittern für Fridays for Future, die jungen Leute wollte ich einfach unterstützen. Eine Wohltat ihr Protest. Nach einigen Wochen spürte ich erneut die Sucht nach dem Wahrgenommenwerden. Weitere Wochen später war ich Bubble und nah dem Empörungsmodus, musste mich beherrschen, um sachlich und zurückhaltend zu bleiben. Ich glitt ab in einen Zwang der Meinungsmitteilung, der mein Denken fragmentierte. Die Gedanken versickerten in Reflexe und Impulse, das Lesen wurde auch nicht besser. Meinungen aus den anderen Lagern wurden zur Gefahr für meine fragile Device-Identität. Ich merkte nicht, wie ich mich ins Gesinnungsgefängnis einsperrte. Ich spürte das schale Unwohlsein einer selbst gewählten Entwürdigung, immer dann, wenn es mir schwerfiel, mich zu entziehen. Dann holte ich noch in der Nacht das Tablet hervor, um meinem drängenden Belohnungssystem einen Schuss zu geben. Blieb der aus, weil keiner mehr reagiert hatte, tat ich so, als ob nichts wäre. Doch mit jedem Abruf ohne Notifications wuchs der Frust, Zweifelzombies untergruben mein Selbstbewusstsein. Beleidigtsein verbot ich mir, stattdessen erhöhte ich mein Postingtempo. An manchen Tagen konnte ich kaum einen Gedanken ohne Twitter denken. Wenn ich aufblickte, dann mit steifen Hals. Nach vielen Stunden bis in die Nacht fühlte ich mich müde und leer. Ausgesaugt wie ein Wassereis für 50 Cent. Permanentes Meinungsrauschen und unablässige Infohäppchen nahm ich für bare Münze und nicht als Abklatsch vom Abklatsch der Wirklichkeit. Ich verwechselte Tweets und Retweets mit Erfahrung und Wissen. Interaktion, von wegen! Die ist ein Witz, wir haben nur noch nicht gelacht. Das Display ist flach im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt aus sinnlicher Sicht nur Abwärme ab, egal was auf ihm zu sehen und zu lesen ist. Seine Virtualität führt zur Verarmung der Erfahrung, verhindert Menschwerdung, die die Nähe zum Menschen braucht. Das alles geschieht schleichend, sehr schleichend, so kommt es mir vor.

Nicht nur Twitter suggerierte mir Lebendigkeit. Vor gut fünf Jahren „verliebte” ich mich über eine Dating-App in eine Frau (dieser Satz allein!). Sie war unterversorgt wie ich. Sie wohnte einige hundert Kilometer nördlich von mir. Das erste Treffen war erst nach drei Wochen möglich, weil sie noch im Urlaub war. In der letzten Woche vor unserem Date schürten wir unsere Erwartungen und Wünsche von Morgens bis Abends. Einmal machten wir Facetime. Wir waren befangen, aber atmeten beide auf, da wir uns gefielen. Wir gestanden uns das Heißsein ein. In meinem Bauch zuckten rattige Wesen, die mir unheimlich wurden. Wir geilten uns im Vorfeld auf. Wir machten erste Pläne für die Zukunft. Dass mir ihre Stimme nicht gefiel, ignorierte ich. Als wir uns trafen, stichelte uns die Dreidimensionalität der Wirklichkeit. Sie zeigte uns die Macht der Präsenz, der Gesten, der Gewohnheiten, der Erwartungen. Sie zeigte uns die Dynamik des Spiegelns, wenn man in den Alltag eines fremden Lebens eindringt und Liebe sucht. Scheitergarantie auf hohem Niveau. Die Ernüchterung und das Befremden trafen uns hart. Auch wenn wir es schnell ins Bett schafften, wir wollten die gestrafte Illusion nicht wahrhaben, stattdessen herrschte Double Bind. Wir trafen uns noch über Monate, aber wir blieben uns fremd. Wir sahen uns nicht im Anderen, ausser manchmal im Begehren. Ihr reichte das, mir nicht.

Als ich täglich auf Twitter war, sah ich keine echten Menschen, sie waren und blieben Fremde. Fremde, die sich gegenseitig einreden, sie würden gemocht und gebraucht. So laufen die Postings immer weiter. Meine Postings waren keine Taten. Sie waren Ersatzhandlungen (für was?), sie waren gehetztes Schreiben, sie waren Worte, die immer nur auf mich selbst zeigten, wie ein Spiegel, der in den Spiegel schaut. Wieviel Leid, Elend, Hass, Dummheit ich auch sah, es waren immer entsinnlichte Bilder, ohne menschliche Ausstrahlung, ohne Körperlichkeit. Bunte Pixel, die Millionen Bilder und Meinungen ausstrahlen. Sie brauchen dafür nur viel Energie, sie binden viel menschliche Energie. Deshalb sind sie so mächtig. Sie locken unentwegt, keine Atempause. Sie zementieren Machtverhältnisse und machen Gesellschaften nicht freier. Letzteres war eine Illusion, an die ich glaubte, da waren die sozialen Medien noch nicht erfunden. Menschlicher werden wir nur von Mensch zu Mensch zu Mensch zu Mensch. Die beschleunigte Beliebigkeit der Empörung entfremdet uns vor dem Leid. Jeden Tag dringt die Wirkungslosigkeit unserer Passivität in uns ein. Das Medium als trojanisches Pferd der Seele.

Ich weiß für mich, Empörung ist kein Mitfühlen. Empörung verhindert sie. Der Dauerbeschuss der Displays macht stumpf und gleichgültig. Schleichend entfremdet er uns vor dem Mitmenschen, hält uns fern von menschlicher Wärme, die wir dringend brauchen. Glücklich die, die nicht einsam sind und denen ein empathisches Ich geglückt ist, die können sich jederzeit entziehen. Ein Zufall ist das nicht, dass Verachtung und Hass auftrumpfen und sich gegenseitig verstärken, was die Gesellschaft mehr und mehr beschädigt. Ich weiss, dass soziale Netzwerke nicht für die Armutsschere und nicht für eine lebensfeindliche Politik verantwortlich sind. In den Netzwerken spiegelt sich nur die Unzufriedenheit, die jahrzehntelange Lobbypolitik zu verantworten hat. Gut jetzt! Jedenfalls meide, blocke und verachte ich Facebook. Wer Facebook will, ohne mich. Whatsapp hatte ich einmal kurz genutzt. Als der große Zockerberg den Messenger geschluckt hatte, drängte ich Familie und Freunde zu einem kleineren „Nachrichtendienst”, der nicht alles aushorcht, was wir digital machen. Es gab Gemecker, aber der Großteil meiner heterogenen Familie wunderte sich, wie einfach und schnell die neue App startklar war. Ich nicht mehr.

Ich nehme mein Smartphone vom Ladekabel und gehe aus dem Flugmodus (haha). Meine zwei Messenger schweigen. Keine Enttäuschung. Ich lege den Glasstein weg und freue mich auf den ersten Kaffee. Beim Nippen fällt mir der Brief wieder ein. Am Freitag ist der Fremde aufgetaucht. Heute ist Dienstag. Vier Tage wie im Flug vorbei, aber ich saß gut. Ich öffne meinen Kalender, um mir den Tag einzutragen, an dem er erscheinen will. Bei jedem Wetter. Ob der mitbekommen hat, dass das Wetter immer toller wird? Wenn es richtig schüttet, kann der lange auf mich warten. Um 11 Uhr. Wie er das gesagt hat! Als ob die Uhrzeit unbedingt einzuhalten wäre.


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Der Brief. Wo ist er? Ich suche ihn verärgert und finde ihn nicht. Vielleicht ist er im Auto, denke ich und setze mich. Was will ich jetzt mit ihm, frage ich, Arbeit steht an. Schließlich muss ich mich finanzieren. Zudem drängt ein Kunde, ich spüre das, ich bin telepathisch talentiert. Doch ich bewege mich nicht vom Fleck, der Körper verharrt in Trägheit, was der Kopf auch immer beschliesst. Dieser Wandelkopf: Impulsiv wie ein Quasar und genauso unerreichbar! Ich lasse den Schreibtisch links liegen, klebe am Küchentisch und öffne die Kladde. Ich gucke mit dem Hadergefühl der Unlust auf das karierte Papier. Plötzlich empfindet mich etwas an. Traumschnipsel? Was will Gedanke werden, weigert sich und bleibt im Vagen? Es ist ein häßliches Huschen aus rotblauem Chaos. Das erinnert mich an Träume, aus denen ich mit stroboskopischen Bildern erwachte, in denen zerfetztes Gewebe aufblitzte. Vor kurzen dachte ich, dass diese Träume mit meinen Unfällen zu tun hätten. Ich werde unruhig. Gleich wird eine Kaskade von Erinnerungen meinen Drehbleistift übers Papier flitzen lassen. Die Unfälle. Als ich sechzehn war, der erste. Knapp zwei Jahre später, der zweite. Die waren nicht ohne.

Die Unfälle sind bis heute nur am Rande in meinem Portfolio vermeintlicher Angsturgründe aufgetaucht. Obwohl, das stimmt nicht ganz. Der zweite Unfall kam mir oft in den Sinn, immer dann, wenn mich hypochondrische Überzeugungen überfielen, fies angefeuert durch Zucken und Ziehen am Kopf. Ziehende Kopfhaut und pochende Schläfen waren die Boten eines Hirnschlags, der gleich kommen würde. Zog es nicht bereits im Arm? War nicht auch im Bein ein hinterhältiges Kribbeln, um den Tod anzukündigen, der noch einmal Spaß haben wollte, bevor ich schlotternd unter laufender Dusche urplötzlich verstarb? Als Spätfolge des alten Unfalls!

Damals kam ich von der Arbeit mit dem Fahrrad. Ich war Auszubildender im zweiten Lehrjahr. Ich arbeitete als angehender Elektroinstallateur bei einer Firma, die mehr Stifte als Gesellen hatte (vielleicht komme ich auf diese Zeit zurück). Strippenzieher mit nem Kurzen inna Hose, war mit das erste, was ich lernte. Viele Lehrlinge arbeiteten auf weit gelegenen Baustellen. Ich blieb keine Ausnahme. So war ich nicht selten erst nach 17 Uhr auf dem Hof zurück. Ich musste danach noch quer durch die Stadt fahren, die nicht gerade klein ist. Auf den Rückweg gab es einige Anstiege. Einen hasste ich besonders. Er zog sich lang hin und zweispurig eilten Autos an mir vorbei. An dem Tag war das Wetter nass, die Luft lag in einer Diesigkeit aus dreißig Prozent schwarz. Wütend beschleunigte ich meinen Tritt, denn ich wusste, gleich kommt die Stelle, auf der Autos in Schüben von einer langgezogenen Autobahnabfahrt kommen. Dann lag ich in der Luft! Sah Grau in Grau und dachte gleichgültig: Das wars, auf Wiedersehen Sonne! Tatsächlich, das weiss ich noch, ich verabschiedete mich von der Sonne. Wie nett. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass ich ihre Dienste dermassen zu schätzen wusste. Obwohl, seit dem Tag, als meine herzensgute Hauptschullehrerin uns mit Beginn des fünften Schuljahrs zur Stadtbücherei des Stadtteils schleppte, interessierte ich mich für Astronomie. Ich entdeckte einen Bildband, der populär postiert war und meldet mich am gleichen Tag an. Das sollte nicht mein Nachteil werden, aber das ist eine andere Geschichte. (Manchmal dreht der Assoziationspapagei mit ihm durch!, höre ich aus dem Kabuff, in dem Straßenjunge hockt.) In dieser Sekunde, in der ich in der Luft lag, nahm ich Abschied vom Leben und spürte keine Angst dabei. So habe ich das bisher immer erzählt. Jetzt grad weiss ich nicht, ob das wirklich so wahr. Das war einfach der Schock! Jedenfalls holte mich ein harter Aufprall auf die Erde zurück. Ich fiel rücklings auf das Blechbett eines Autos, das auch Türkenschiff genannt wurde. Die lange Motorhaube federte mich ab. Mein Hinterkopf schlug die Windschutzscheibe kaputt. Bruce Lee wäre vor Neid erblasst. Noch heute sehe ich das gerissene Glas, die Vertiefung, in der mein Kopf für eine Zehntelsekunde lag. Ich rollte von der Motorhaube, blieb kurz benommen liegen und stand wie von der Tarantel gestochen auf. Wie erstarrt schaute ich mir das Auto an, auf dem ich gefallen war, der Fahrer sass noch im Wagen. Autos hielten, Menschen stiegen aus, aber alles schien mir weit entfernt. Ich nahm die Leute gar nicht wahr, die zu mir kamen und seltsam auf Abstand blieben. Ich nur sah mein Fahrrad. Weit lag es, an den Straßenrand geschleudert. Ich ging die Meter und ich bückte mich zum Fahrrad. Ich hob es kurz hoch und ließ es fallen. Das Hinterrad geschrottet, keine Chance mehr, damit weiterzufahren. Erst jetzt bemerkte ich das Zittern meiner Beine, das Flattern meines Atems. Dann sah ich den Mann, der mich fast tot gefahren hatte. Er kam zögernd auf mich zu mit hilflosen Gesten. Im feisten Gesicht mit dem dicken Schnäuzer sass Schrecken. Mein Fahrrad, sagte ich nur. Bezahlt Versicherung, sagte der Mann und bewegte seine Arme hilflos auf und ab. Eine Frau kam auf mich zu. Blond, das weiss ich noch. Sehr besorgt, das sehe ich noch. Sie legte ihre Hand auf meinen Oberarm und sah mir ins Gesicht, fragte, ob ich in Ordnung sei, sagte, dass sie einen Riesenschreck bekommen habe. Ob ich einen Krankenwagen brauche? Ich schüttelte den Kopf. Ich schien mir unverletzt. Kein Blut nirgends. Irgendwann war auch die Polizei da. Ich wurde befragt, gab meine Adresse und dachte immer nur an mein Fahrrad mit dem zerstörten Hinterrad. Zerstört hätte auch mein Hinterkopf sein können. Die Polizisten fragten mehrere Male, ob ich nicht doch ins Krankenhaus wolle, um mich untersuchen zu lassen, vielleicht habe ich eine Gehirnerschütterung, ob mir übel sei. Ich schüttelte wie zur Bestätigung den Kopf. Dabei fielen mir Onkel und Tante ein, die in der Nähe wohnten. Dort würde ich hingehen. Nachdem alles protokolliert war, nahm ich das Rad über die Schulter und ging schnurstracks über das anliegende Feld. Froh war ich, endlich allein zu sein. Was ich mitnahm an diesem Tag, das war der Schock, der Schock, der auf Hals und Nacken lag. Erst jetzt begreife ich, dass er tief ins Hirn gekrochen war und eine Unzahl Tretmienen gelegt hatte, die bei Stress, die bei einem falschen Gedanken, sei er auch noch so unscheinbar, explodierten, immer mal wieder explodierten. Die gute Nachricht: Das ist vorbei. Definitiv! Wurde auch Zeit. Irgendwann im Leben muss man schließlich die Kurve kriegen, will man sein altes Elend nicht noch mit ins Grab nehmen.

Der Unfall zuvor. Ein Unfall, der aufs Ganze ging und mich beinahe Hopps genommen, mich beinahe zurückgeschleudert hätte ins Reich der Atome. Dafür reichte Einer, einer, der mit einem ausgeprägten Archloch-Gen auf die Welt gekommen war und deshalb auch niemals aus seinem Arschloch-Sein herauskam. Einer, der meinte, mit entzogenem Führerschein und mit unangemeldetem Auto in den engen Straßen der Siedlung den Autohelden spielen zu müssen, kurvenschneidend ohne Übersicht ab in die Stichstraße hinein. Bremsen kann man immer noch. Ich sass zuvor noch auf der Mofa. Von dem langen Zugangsbalkon, die zu den Türen der Wohnungen führten, rief meine Mutter mich zum Essen. Es war Mittags, Sylvester, fast ein Tag wie jeder andere. Und wie an einem Tag wie jeder andere, sagte ich, ich komme gleich und ignorierte das Zetern der Mutter. Ich beugte mich über den schnatternden Motor meiner Herkules, die ich vor Monaten fast ruiniert hatte, weil ich in einem Scharfsinnsanfall meinte, ich könne sie frisieren, in dem ich das Benzin-Zugangsloch zum Luft-Gasgemisch etwas vergrößere, mit dem Ergebnis, dass ich danach bei jedem Stopp den Benzinhebel zudrehen musste, weil sonst dasselbe aus dem Vergaser getröpfelt wäre. Wahrscheinlich war an diesem Tag einfach zu viel Luftgasgemisch in meinem Kopf, das schlagartig entwich, als ich meinen Fehler begriff. Hinzu kam, dass ich dieses Loch nicht mit einem Metallbohrer aufbohrte, sondern grob mit einem kantigen Dorn malträtierte, was zu häßlichen Kerben führte, die jede Dichtung ad absurdum führte. So beugte ich mich oft, sitzend auf der Mofa, zum laufenden Motor, hoffte durch dringliche Blicke Heilwirkungen zu erzeugen und suchte hörbare Zeichen der Besserung, während ich wie ein Besengter am Gas drehte. So auch an diesem Tag. Als ich eine Versöhnungsrunde um die Häuserblöcke fahren wollte, erfasste mich das Auto des Arschlochs. Das brach mir einen Oberschenkel glatt und den Unterschenkelknochen gleich mit. Nahe dem Knöchel. Wenn schon, denn schon. Danach lag ich auf nassem Asphalt, geschleudert bis zur anderen Seite der Straße und blieb liegen nahe der Bordsteinkante, über mir dunkelgrünes Gezweig. — Krüppel! Krüppel! Für immer Krüppel, wimmerte ich, umgeben von ersten neugierigen Blicken und aufgeregtem Getuschel. Ich starrte auf mein zerstörtes Bein, das Bein, das kein Bein mehr war, das willenlos und mit abgeknickten Fuß da lag. Der Unfall sprach sich schnell herum, immer mehr Leute kamen, die halbe Siedlung schien unterwegs zu sein. Endlich kam auch meine Mutter, mein Vater hinterher. Es war Samstag, er war an diesem Tag nicht arbeiten. Viel erinnere ich nicht. Entfernt sehe ich mich im Krankenwagen, mein Vater fuhr mit. Meine schmale Hand zwischen seinen rauen, dicken Fingern, das fühlte sich fremd an und tat mir zugleich gut.

Gerne hätte ich mich beim Chefarschloch bedankt. Für die vierstündige Operation, für die einskommafünf Liter Blutverlust, für die zwei langen Stangen, die man mir durchs Knochenmark schlug, für den zerquetschten Beinnerv, für die Lungenentzüdung nach der Operation, für die fünf Tage auf der Intensivstation, für die neun Wochen im Bett mit Gips bis zur Hüfte. Aber er kam nicht. Auf der Intensivstation hörte ich das Feuerwerk der Stadt und sah durch einen Schleier eine Blutkonserve hängen. Ein Traumbild, von dem aus ich schnell wieder in einen fiebrigen Schlaf fiel. Später sah ich mir den langen Raum genauer an, Bett an Bett. Neben mir ein Mann, der auf den Tod wartete. Ich sah einen Schlauch in seinem Kopf. Nur einmal stöhnte er. Er starb einige Tage später. Die Lücke zum nächsten Bett, die er hinterliess, erschien mir wie mein eigener Abgrund. Immer war es still in diesen fünf Tagen im Winter 1977.

Was ist jetzt?! Klar ist das traurig! Aber muss ich über vierzig Jahre später darüber heulen? Es ist nie zu spät. Ich habe immer unbedarft darüber erzählt, als wäre es gar nicht mir passiert.

Regelmäßig musste ich Dämpfe einatmen. Das war eine willkommene Abwechslung. Mein größter Feind war die Uhr an der Wand vor meinem Bett, gleichgültig dehnte sie die Zeit und die Tage waren elend lang. Einmal besuchte mich meine Mutter. Unsicher sass sie da mit gequältem Gesicht, als liege sie hier und nicht ich. Ich mache ja Sachen, sagte sie, ich mache ja Sachen. Hätte ich doch gehört, sagte sie.

Zwei oder drei Jahre später traf in den Arzt, der mich operiert hatte. Zufällig kam ich in seine Praxis, die er noch nicht lange hatte. Ich brauchte einen Persilschein für die Bundeswehr. Durch den Unfall war mein linkes Bein verkürzt und ich hoffte auf einen hohen Untauglichkeitsgrad. Der Arzt erkannte mich wieder. Erfreut begrüßte er mich und erzählte mir von der schwierigen Operation. Als atme er erneut auf, lobte er meine Konstitution. Ich hätte sie ganz schön auf Trab gehalten. Mein Leben habe am seidenen Faden gehangen. Mein Lebenswille habe sie beeindruckt. Dankbar waren sie mir gewesen, als ich durch war. Vier lange Stunden habe die Operation gedauert. Ob ich überhaupt zum Bund wolle? Ich verneinte und bekam das passende Attest. Und heute, wenn ich an die Operation denke? Da imaginiere ich ein Massaker auf dem OP-Tisch. Ich sehe Sägen, Hämmer und Blut. Ich sehe pochendes, offenes Fleisch. Wie in manchen Träumen, in denen chaotisch rotes, blaues, schwarzes aufblitzt, das mir aus dem Kopf quillt und noch kurz nach dem Aufwachen vor meinen Augen tanzt mit animalischem Schrecken. Vielleicht habe ich das Grauen gesehen, als die Betäubung nachliess. Vielleicht war das auch das vermeintliche Trauma, das ich viele Jahre zu begreifen suchte. Vielleicht bin ich einfach nur wieder auf dem Holzweg. Vielleicht ist das letztendlich auch Scheißegal, denn es ist vorbei und ist nicht mehr zu ändern. All die Angst im Körper wird mir bis zu meinem Tode bleiben. Doch seit einigen Jahren gibt es einen Unterschied im Umgang damit. Ich mache mir keine Gedanken mehr und lasse sie toben in der Gewissheit, dass sie sich bald wieder erschöpft haben wird. Ganz von allein.


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Zeitsprung. Weil: Einfach so. Oder: Meine Angstbeschau verweigert sich der Chronologie. Mehr noch: Ich will die Erinnerung nicht auf ein Ziel einstimmen. Ich will der Erfahrung keine Logik aufzwingen oder sie mit Sinn aufladen. Ich setze keinen Cent auf Narrative, ich misstraue ihnen.

°_° : Reicht! Erzähl’ einfach weiter jetzt!

Zeitsprung also. 1983. Urlaub in Großbritannien, gefahren bis ins letzte Kaff des schottischen Nordens, genauer, Betty Beach. Zwei Wochen zelten insgesamt, nur einmal nicht, das kam so: Ich war zusammen mit einer Frau, mit der ich seit einem knappen Jahr die freie Liebe versuchte. Ich nenne sie Betty, aber ohne Beach. Betty also, neun Jahre älter als ich, etabliert im Beruf, selbstbewusst auf den ersten und zweiten Blick, szenebekannt. Ich dagegen war seit kurzer Zeit ein Punk und arbeitslos, schüchtern und touristische Aktivitäten nicht gewohnt. Mein letzter Urlaub war eine Kinderverschickung in die Sommerferien gewesen. Arme Familien durften ihre neun bis zwölfjährige Brut für drei Wochen und 25 Mark nach Österreich verschieben. Die Auszeit mit Betty fing längst nicht so gut an, wie mein Kindertrip ins bergenreiche Zillertal. Ich fand den Urlaub schnell zum Kotzen. Die Überfahrt trug wesentlich dazu bei. Und als ich Brighton sah, fragte ich mich, was an diesem Kaff so besonders sei. Ich sah hier noch mehr Spießer als im verhassten Deutschland. Überall Touristen. Breit und behäbig strahlten sie das Selbstverständnis eines verfetteten Glücks aus und suchten zwischen XXL-Tüten und Plastikflaschen, zwischen Beachbummel und Tourifraß das Glück der Erholung. (Und das beschissene Unrecht auf der Welt kümmert Euch gar nicht?! Weit weg von Euch toben imperialistische Kriege! Die jahrhundertalte Ausbeutung unterlegener Regionen nährt unseren Reichtum!) Diese ganzen Sprüche, mißmutig und verächtlich vorgetragen, während Betty sich um alles kümmerte, was unter meiner Würde lag.

Neben der vermeintlichen Gleichgültigkeit und Heuchelei meiner Mitmenschen machten mir auch die kleinen Pflichten und Zumutungen des Urlaubsalltags zu schaffen. Betty wurde mehr und mehr anmassend. So sollte ich tatsächlich einkaufen gehen! Ich! Mit meinem zweieinhalb Worten Englisch! Im Hinterstübchen war mir das peinlich. Betty verriet ich das nicht. Stattdessen weigerte ich mich mit wortkargen Ausreden. Und als Betty weiter darauf bestand, wurde ich wütend. Ich dachte, sie quäle mich absichtlich. Nicht auch noch sie! Ich zog zitternd meine Oberlippe nach oben (so stelle ich mir das vor). Als mir nichts mehr einfiel auf ihre Argumente, ausser ein freundliches Leckmich oder ein träges Kein Bock, kehrte ich ihr den Rücken zu und schwieg die Landschaft an. Das machte Betty wütend. Kindskopf, rief sie, wie ein Pascha verhielte ich mich. Pascha! Ich, der Punk! Pascha war ein Wort, das mich verläßlich reizte und das genauso verläßlich einen Monolog über ihre verlogene Spießigkeit provozierte. Blitzschnell wie ich war im Urteilen, transferierte ich ihre von Macht, Medien und Konsum beherrschten Verhaltensweisen in die großen politischen Zusammenhänge, was sogleich zur moralischen Schuld der Gleichgültigen und Verantwortungslosen führte, die nur und nochmals nur AN SICH DACHTEN! Am Ende trieb Betty nicht nur mein Räsonieren, Schimpfen und Täuschen zum Selbsteinkauf, sondern auch der Hunger. Hunger war ein Zustand, den sie so gut wie gar nicht ertragen konnte, schon bei nahendem Appetit wurde sie nervös. Ich wusste das.

In Verlauf unseres Urlaubs fand ich viel Stoff für kindisches Gezänk, beleidigtes Schweigen und saublöde Kommentare. Betty ließ sich nichts gefallen. Ein ironisches Gesicht war ihre Standardantwort, wenn ich Abwegigkeiten mitteilte. Oft sagte sie wenig, wenn ich politisch räsonierte, was mich still an ihr zweifeln ließ, begleitet von lauten Vorwürfe. Wenn ich sie von meiner hohen Warte verurteilte, konterte sie oft mit einem ironischen Auflachen. Aber wenn es ihr zu bunt wurde, wurde sie laut. In den Jahren unseres Zusammenseins verdichtete Betty ihre Widerrede mit dem Wort Kotzbrocken!

So fuhren wir. Durch ein kaltes England in skrupelloser Thatcherhand. Von Brighton direkt nach London. Sogleich nervte mich wieder der Touri-Trubel. In einem dieser bescheuerten Doppeldeckerbusse wurde mir schlecht, wofür ich Betty verantwortlich machte, weil es ihre Idee gewesen war. Sie musste ja unbedingt darein! Dann kam Wales als wohltuender Abstecher. Nichts als Landschaft und Sonne, aber wenigstens kein Trubel und urige Leute. Dann, als wir nah der schottischen Grenzen waren, passierte es. Betty fuhr und ich war still. Ich hatte nach Abbruch des Zeltes keine Lust zu fahren, was mich wunderte und zugleich erleichterte (ich fuhr ohne Führerschein). Ich schaute aus dem Fenster und die Landschaft zog plötzlich wie graue Schlieren durch mein Hirn. Ein großes Kraftwerk am Horizont. Kühltürme mit dicken Bäuchen, die mir als explodable Bedrohung vorkamen. Dann traf es mich wie ein ungebremstes Senkblei, das durch meinen Kopf schlug und Lunge und Bauch zerfetzte. Hauchend: Mein Kopf! Wimmernd: Mein Herz! Überzeugt: Ich sterbe! Stockender Atem. Angst ohne Kompromisse. Betty blieb ruhig. Sie hielt kurz an und fragte, ob ich etwas trinken wolle. Ich verneinte. Wir könnten ein Hotel nehmen, kam fast unwirklich ihre Stimme. Ich nickte. Der Gedanke an ein Hotel tat mir gut. Ein Bett, ein Raum, vier Wände. Wird man mir das Entsetzen ansehen? Geht das vorbei? Bitte geh vorbei! Da muss vorbeigehen! Betty fuhr weiter, während ich mich auszitterte. Manchmal sah sie zu mir herüber: Ob es ginge? Ja, es ging. Es liess nach. Ich wurde ruhiger. Der Schock wechselte die Farbe und mündete in Fragen, auf die ich keine Antwort wusste: Was war das? Woher kommt das? Kommt das wieder? Im Hotel ging es mir besser, ich konnte eine Kleinigkeit essen. An diesem Abend verteilte ich keine spöttischen Blicke an die Gäste im Speisesaal.

Die Reise wurde etwas friedlicher. Ich wurde umgänglicher, spürte Dankbarkeit, auch Bewunderung kurz, weil Betty so umsichtig geblieben war. Wir zelteten wieder. Auch der Motzkopf tauchte wieder auf, etwas leiser als sonst. In meinem Inneren hatte sich etwas verschoben und in den Tagen nach dem Anfall achtete ich auf kleinste Anzeichen. Ein paar friedliche Tage zwischen rauer Wiesen- und Steinlandschaft mit plötzlich auftauchenden Sanddünenbuchten, in die langsam die Strömungen zweier Meere hineinkrochen, beruhigten mich. Im naheliegenden Dorf begegneten wir einfachen Menschen, an denen ich nichts auszusetzen hatte. Im Gegenteil, ihr verhaltenes Interesse, ihre Einfachheit, ihre gesamte Art gefiel mir. Sie strahlten eine Ruhe aus, die mir sofort zum Vorbild wurde. So wollte ich auch werden. Zudem brachte ich es fertig, ganz allein den kleinen Pub zu betreten, um einen bräunlichen und halbtransparenten Kanister mit Bier auffüllen zu lassen. Ich war überhaupt nicht aufgeregt. Echt nicht! Ich zeigte lieber halbstumm auf den Zapfhahn als ein paar Worte Englisch zu stottern. Ich kam ohne Schamschaden wieder heraus und mit vollen Kanister. Im Zelt feuerten wir mit dem süffigen Bier unsere eh schon kaum auszuhaltende Geilheit an, die verläßlich auch den heftigsten Streit resettete.

Viele Monate später, als wir uns bereits eine Wohnung teilten, wurde Bettys Kinderwunsch dringlicher. Sie ging auf die Zweiunddreißig zu! Ich nahm sie zuerst nicht ernst. Blieb wortkarg im Vagen. Aber ihr Wunsch arbeitete in mir, meine Bedenken behielt ich für mich. Ich spielte auf Zeit und blieb ihr eine Antwort schuldig. Betty hielt das schlecht aus. Sie sah meine Verstörungen nicht. Ich zog mich zunehmend zurück. Sie wurde zusehends nervöser. Eines Tages fiel ich in eine bis dahin nicht gekannte Kraftlosigkeit, die sich langsam angekündigte hatte und mich dann mit einer Wucht erfasste, die mich an meinen Anfall in England erinnerte. Ich saß im Sessel und kam nicht mehr heraus. Ich saß wie unter einer Glasglocke, stumm, zu keiner Bewegung mehr fähig. Erstarrt. Nicht mehr Herr meines Körpers, meines Willens. Den Arm heben, einfach nur heben? Das ging nicht! Von weit her hörte ich Betty, obwohl sie in meiner Nähe war. Ich hörte ihre Bitten, aber sie erreichten mich nicht. Ich sah sie ohne eine Regung von einem Zimmer zum anderen gehen. Sie war verzweifelt. Ich war ihr vollkommen entglitten. Ungewissheit quälte sie. Nur langsam kam ich an diesem Tag aus meinem Eisblock heraus. Spät in der Nacht kroch auf die Couch in meinem Zimmer. In den Monaten darauf ließ mich ein unbekanntes Bedrohungsgefühl nicht mehr los. In den Nächten ertrank ich in Adrenalin. Warum? Ich hatte keine Ahnung! Verläßlich war nur der Abgrund.

Einmal rief der Abgrund mitten am Tag. Zuerst war nur ein Unwohlsein gewesen, ein leichter Druck in der Brust und eine beunruhigende Unkonzentriertheit, als wären die Gedanken in klebrige Netzen gefangen. Dann zog es am Herzen, die Kopfhaut zog mit. Ich fühlte mich wie ein Kartenhaus, das gleich zusammenbrechen würde. Mein Körper drohte mir, zu versagen, mich in die totale Verletzlichkeit zu jagen. Es reiche ein Hauch, dann wäre tot! Ich hielt es in der Wohnung nicht mehr aus und ging nach draußen. Die Treppe im Hausflur ging ich noch beherrscht herunter, um nicht aufzufallen. Dann lief ich zu einer großen Wiese, die zur fensterlose Wand einer Turnhalle führte. Das Licht gleißte in die Augen. Die graue Wiese drohte mich zu verschlingen wie ein Schlund! Schlürpp und weg! Für immer tot! Ich fiel auf die Knie, beugte mich zum Stoßgebet, drückte mein verzerrtes Gesicht ins harte Gras und schlug mit der Faust auf den Boden. Er gab nicht nach, der Boden blieb hart. Wütend schrie ich auf, wollte in das Dunkel absinken, und wollte es nicht. Ich stöhnte Luft aus meinen Lungen, die aus einer alten, ekelbehafteten Zeit zu kommen schien. Plötzlich regte sich ein Scheiß-Egal-Trotz. Er gab mir Hoffnung, vielleicht ging es mir auch plötzlich etwas besser. Ich richtete mich auf. Ein peinliches Gefühl umschlich mich. Ich schaute mich um. Der Boden unter meinen Füßen wurde wieder verläßlich. Ich spürte, es war vorerst vorbei. Mich quälte die Frage, ob ich verrückt sei und bald meinen Verstand verlieren würde. Ich schwor mir, alles zu tun, um nicht eingeliefert und ruhig gestellt zu werden. Einsam stand ich auf der dürren Wiese und sah mit verstörten Augen ins Ungewisse.

Nach diesem Tagalbtraum ging es mir von Tag zu Tag besser. Die Nächte wurden ruhiger. Der Frühling half, die jungen Blätter, der Vogelgesang, was ich alles zum ersten Mal erstaunt und berührt wahrnahm. Bettys Arzt half, ein Anthroposoph mit Kassenzulassung. Baldrian-Dragees halfen, immer dann, wenn Kopf und Körper mich vorwarnten. Es kamen Phasen der Hochstimmung, die Tiefstimmung in sich trugen. Es kam der Vorschlag des Arztes, eine Therapie zu machen. Zwei hochmotivierte Absolventinnen der Universität würden in seinen Räumen Psychodrama anbieten. Der Arzt schien zu sehen, was ich dachte und sagte, das höre sich schlimmer als es sei. Es sei eine schlichte Gruppentherapie, die durch die Gruppe, wenn es gut liefe, getragen würde. Ich traute mich nicht, nach den Kosten zu fragen, ich war mit Arbeitslosenschämen beschäftigt. Das schien auf meinem Gesicht zu stehen. Der Arzt verwies gleichmütig darauf, dass die Therapie auch für weniger zahlungskräftige Patienten gedacht sei. Für sechs Monate sollte es alle zwei Wochen eine neunzigminütige Sitzung geben. Trotz der Zweifel sagte ich zu. Wahrscheinlich auch, weil ich so schlecht Nein sagen konnte und unter keinen Umständen undankbar wirken wollte. Auch die Ausstrahlung des Arztes half mir bei der Entscheidung. Der Arzt war groß und schlank, trug einen gepflegten Bart, in seiner Stimme lag eine warme Sachlichkeit, für die ich dankbar war, die mir Sicherheit gab. Auch der Leidensdruck trug dazu bei, mich einer Gruppe von Gleichgestörten zu stellen. Ich sass regelmäßig in den verschütteten Kellern der Depression oder feierte wie ein Ping-Pong-Ball mein großartiges Leben: Großartig vor die Wand gefahren war es, großartig orientierungslos dazu. Großartig verfahren in den Liebesversuchen mit Betty war es. Betty, die ein Kind von mir wollte und die mein Leidensschwimmen mit Schnappatmung beantwortete, die mein Schweigen falsch deutete und allein auf sich bezog, so wie ich immer alles auf mich bezog. Wir sahen nur uns, selten den anderen. Wir waren kongenial neurotisch, aber auf sympathische Art, auf die Art, wie das nur zwei eigene Leben haben.

Damals fing ich an zu ahnen, dass alle Menschen ihre Wahrnehmungsbrillen tragen. Sie nennen das Wirklichkeit. Meine Wirklichkeit war das Anrennen gegen die Ungewissheit und der Versuch, meine Zerrissenheit zu deuten, ohne Worte dafür zu haben. Manchmal fühlte ich eine Vagheit im Kopf, die mich jeden Augenblick zu der Wahrheit führen würde, als läge sie bereits auf der Zunge und müsse nur ausgesprochen werden. Oder wie ein Geruch, der bereits wieder verschwunden ist, bevor das Hirn ein Wort dafür gefunden. Aber die Hoffnung verschwand so schnell wie sie gekommen war. Es gab keine erlösenden Worte, nur ein vorsprachliches Ahnen, nur eine gedankliche Fata Morgana. Ich suchte eine verdrängte Ursache für die gefühlte Minderwertigkeit, für die nächtliche Panik und für die hartnäckigen Gedanken, auf dem Holzweg zu sein, auf der Stelle zu treten und niemals wissen zu werden, was ich wirklich will. Die Bergung einer Ursache sollte meine Rettung sein. Ich fing an zu forschen in meinem Umfeld. Ich entdeckte bei meinem Arzt die Psychologie Heute, die ich mir regelmäßig kaufte und die mir Hoffnung auf leidenslindernde Erkenntnisse machte.

Ich stellte meine Mutter zur Rede. Sie wusste nicht, was ich von ihr wollte, als ich verlangte, sie solle mir sofort erzählen, was sie mir als Baby, als kleines Kind angetan habe, sonst würde sie mich nie wieder sehen. Sie saß da auf ihrem angestammten Küchenstuhl, mit den ewigen Kittel am Körper. Sie wusste nicht, wie ihr geschah. Sie brachte nur ein paar Sätze heraus, die mir ihre kindliche Elendserfahrung schlagartig deutlich machte. Ich hatte es auch schwer, sagte sie, auf Landverschickung in Tschechien war ich. Als der Krieg kam. Ich bin vergewaltigt worden! Dann musste ich zurück, meine Mutter wollte mich nicht mehr. – Sie senkte den Kopf, drückte ein Papiertaschentuch zusammen und verdrückte eine Träne. Schweigen. Dann sagte ich, verstehe, stand auf und ging ohne einen Trost. Hier war nichts zu holen. Alles lag an mir. Nur ich konnte mich retten, das dämmerte mir. Doch so schnell wollte ich nicht aufgeben.

Ich fragte vorsichtig bei Verwandten nach, aber ich spürte schnell, dass ich an falschen Adressen war. Sie gingen entweder nicht auf meine Fragen ein oder erzählten Anekdoten, die ich schon drei Millionen Mal gehört hatte. Später suchte ich eine Haushälterin auf, die vor Jahren für uns fünf Kinder gekocht und gewaschen hatte, als meine Mutter im Krankenhaus war. Sie mochte uns. Aber was sollte sie schon erzählen? Sie liess mich auf ein Glas Wasser in ihre Küche, hörte mir interessiert zu. Es täte ihr leid, dass sie nicht viel erzählen könne. Sie habe uns als tolle Kinder erlebt, hilfsbereit, witzig und intelligent. Ich staunte und begriff zugleich, dass ich auch hier an der falschen Adresse war und wohl nur Bestätigung und Zuspruch suchte, aber keine Antworten auf meine Misere. Sie verabschiedete mich mit einem warmen Lächeln und wünschte mir viel Glück, während ich bereits an meinem Fahrrad stand und mich bedankte.

Je mehr ich forschte, umso schneller drehte ich mich um meine Neurose, die zwischen Selbstabwertung, Selbstmitleid und aggressiven Trotz oszillierte. Mein Humor, der nie ganz versiegte, kam mir nur selten zur Hilfe. In den Jahren hat sich mir gezeigt: Neurosen hassen Humor. Zum genialen Gegenspieler der Neurose wurde mir die Selbstironie. Sie ist eine Art DIY-Therapie mit der schnellsten und kürzesten Intervention, die je eine Therapie erreicht hat. Aber ich brauchte noch lange Jahre, bis ich mit meinen Naturhumor die lauernden Triebe des Selbstmitleids zupfen konnte, ohne Gift und Bunsenbrenner. Damals hatte ich noch nicht die Mittel. Aber immerhin: Eine Therapie stand an. Und ich wollte sie.


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Ich bin mir sicher, ich wollte die Therapie. Wie kam ich zu diesem Willen? Das ist das Interessante und nicht die Therapie selbst, flüstert mir mein Schreibgespür ins Hinteröhrchen. Ich habe noch etwas weiter in die Jahre davor abzutauchen, hallt ein subtiler Imperativ in meinem Kopf und der Bauch stimmt prompt mit ein. Ich will ihnen folgen, ohne zu wissen, wohin sie mich führen werden. Also tauche ich ab in ein dunkles Wasser und wenn es gut läuft, dann ertrinke ich nicht in Belanglosigkeiten, sondern tauche erstaunt mit Sätzen wieder auf, die aus meinen Erinnerungen eine Geschichte machen, die ich noch nicht erzählt habe.

Nach meiner dritten Kündigung erfand ich die produktive Arbeitslosigkeit (kurz bevor Betty kennenlernte, hatte ich mich in drei Arbeitswelten versucht). Die wollte ich leben. Tatsache. (`_´: Angeber!) Ich dachte sie mir als Ohrfeige gegen den Kapitalismus. Ich dachte sie mir als Freiraum für einen Weg aus der Abhängigkeit. Sie war ein Vorschuss für die Selbstfindung jenseits der Ausbeutung meiner Arbeitskraft. Aber den Vorschuss musste ich mir zuerst verdienen. Anderthalb Jahre vor meiner Metamorphose zum Punk und einig Wochen nach der Aufgabe meines ersten Ausbildungsplatzes fing ich bei einem Autokonzern als Schichtarbeiter an, um endlich genügend Geld zu verdienen. Damals dachte ich noch nicht daran, dass mir das Arbeitslosengeld zur sozialen Absicherung dienen könnte. Das dämmerte mir erst, als der Gedanke aufdringlich wurde, den Job am Fliessband zu schmeissen. Ich fing an, den Anspruch auf Arbeitslosengeld als verlockend zu begreifen. Selbst die Arbeitslosenhilfe, die mir nach dem Arbeitslosengeld zustand, würde noch ordentlich sein. Mit knapp neunhundert Mark ließen sich gut leben, wie sich ein gutes Jahr später herausstellte. Ich ging bei „Plus” einkaufen, fuhr kein Auto, bezog eine Sozialwohnung und schloß keine Versicherungen ab. Ein Vorteil war auch, dass ich die Kommerzwelt zum Kotzen fand. Nicht ganz, nur bis zu einem gewissen Grad. Gute Technik für meine Cassetten-Fanzines, ok, da war mir der Kommerz nicht zuwider, solcher Technik konnte ich schlecht widerstehen. Auch kaufte ich mir, als ich bereits ein paar Monate frei von abhängiger Arbeit war, eine elektrische Schreibmaschine. Eine Olympia. Zahlbar über sechs Raten, ein großes Versandhaus machte das möglich. Mein ganzer Stolz eine Zeit. Rot war sie und nützlich war sie auch, ein Werkzeug für meine Ideen. Ich wollte schreiben, Fanzines machen und mich weiterbilden. Das war mein ganz eigener Punkanspruch.

Mit dem Schreiben lief es zuerst gut. Ich fing einfach an, wie ich vieles einfach anfing. Ich schrieb Realsatiren, die sich über Rituale der Punks und die linke Szene lustig machte. Alltagsbeobachtungen, ziemlich spöttisch im Sprachduktus. Mir machte das Spaß. Ein halbes Jahr später hatte ich auf einer gewerkschaftlichen Kulturveranstaltung meine erste Lesung, neben anderen Autoren. Man hörte mir wohlwollend zu. Man bestätigte mir Talent. Danach erschienen ein paar Texte von mir in lokalen Zeitschriften. Ein linker Verlag aus Hamburg schickte mir gar einen jungen Lektor, nachdem ich ein paar Manuskripte in die Welt verschickt hatte. Jedenfalls, mein Leben fing an, abwechslungsreich zu werden.

Ich war herausgekrochen aus dem einsamen Loch, in das ich nach meinen Unfällen und nach Aufgabe meines letzten Ausbildungsplatzes gefallen war. Auch die linkssektiererische Wohngemeinschaft, in der ich über ein Jahr gewohnt hatte, verließ ich. Ich stand da mit nichts, ohne Wohnung, ohne Arbeitslosenkohle, die für zwei Monate gesperrt war. Zum Glück konnte ich bei meinen Eltern wohnen. Kaum floss nach zwei Monaten das Geld wieder, fand ich eine kleine Wohnung. In der Zeit des Wartens gab ich Kleinanzeigen in Programmzeitschriften auf, um gleichgesinnte Punks zu finden, die mehr wollten, als saufen, stänkern und demonstrativ in den Rinnstein pissen. Ich wollte nicht generell gegen alle sein, die keinen Nietengürtel, keine zerrissene Kleidung, keine verlotterten, kurzen Haare trugen. Ich wollte rechts und links nicht in einen Topf werfen. Ich verachtete die Frauen nicht und ich beschimpfte keine Obdachlosen. Ich sah mich als politischen Punk und die Musik, die ich hörte, gab mir recht: Dead Kennedys, The Clash, Slime, Hass, Crass, Die Alliierten. Kaum hatte ich gehärtete Seife für meine Haare und die Lackfarbe im Keller meiner Eltern für meine Lederjacke entdeckt, da lernte die Betty kennen, die mich zuerst im Stich liess und später ein Kind von mir wollte. Genau die Betty, mit der ich in Betty Beach war. Ich lernte sie in einer ehemaligen Gaststätte kennen, aus der ein paar geschäftstüchtige Hippies einen Treffpunkt für die linksalternative Szene gemacht hatten. Dass ich Betty überhaupt kennenlernte, hatte ich dem Zufall und Tom zu verdanken, einem jungen Punk, der unter dem Schwulsein und seiner Mutter litt. Er rief mich ab und zu bei meinen Eltern an, als ich dort die zweimonatige Strafzeit ohne Arbeitslosengeld absaß, nach dem ich zuvor bei Opel und danach den zweiten Ausbildungsplatz nach nur vier Monaten gekündigt hatte.

Ich sehe mich da sitzen auf der Couch in der Küche der zweiten Wohnung. Die hatten meine Eltern vor Jahren angemietet, um unsere Wohnsituation zu entschärfen. Zuvor wohnten wir als siebenköpfige Familie auf großzügigen sechsundfünfzig Quadratmetern. Und da immer mehr Familien der verrufenen Siedlung den Rücken kehrten und immer weniger nachzogen, war nebenan eine Wohnung freigeworden (die kinderreichen Familien wurden weniger). Dort hauste jahrelang eine kranke Frau mit ihrem Enkel. Der Enkel hatte viele Sommersprossen und wenig Freunde in der Siedlung. Er war als Einzelgänger und Stubenhocker verschrieen. Er fand Spaß daran, seinen Kanarienvogel vor die Wand zu schmeissen. Ekel-Temme drehe durch, hieß es dann. Irgendwann waren die Temmes nicht mehr da und einer meiner Brüder und ich konnten je eines der beiden kleineren Zimmer besetzen. Ich war zu der Zeit in der ersten Ausbildung als Elektroinstallateur und baute mir in dem Zimmer ein Lichtspiel auf. Überall stellte ich bunte, schwere Strahler auf, die meine Pflanzen beleuchten sollten, die ich irgendwo ausgrub oder mir schenken ließ. Über dem Bett hatte ich einen Blechkasten aus dem Elektronikladen, dort liefen die Kabel zusammen. In dem Blechkasten waren symmetrisch eine Reihe von massiven Kippschaltern eingefasst, darüber rote und grüne Leuchten, die signalisierten, dass 230 Volt ihren Dienst taten. Als das Werk fertig war, genoss ich eine Woche lang, auf der Matratze zu liegen und die Schalter über meinem Kopf zu bedienen.

Die Mieten für die kleinen Wohnungen der städtischen Wohnunterkunft waren günstig. Mit Einzug in das eingezäunte Paradies der Kinderreichen gingen Bürgerrechte flöten. Der Verwalter durfte kontrollieren, ob nach 22 Uhr kein Besuch mehr in den Wohnungen war. Aber er hütete sich. Er hielt sich stoisch aus allem heraus und sprach, im Einklang mit einem Teil der Bewohner, lieber der Flasche zu. So ermöglichte uns die jahrelange Mitgliedschaft im Club Sonnenburg, wie die Siedlung spöttisch gerufen wurde, eine Zweitwohnung, die das Zusammenleben in der Familie friedlicher machte. Wir konnten uns einfacher aus dem Weg gehen.

Als ich dort auf mein erstes Arbeitslosengeld wartete, waren die wilden Zeiten der vier Blöcke aus rotem Backstein und Beton längst vorbei. Ich sass allein in der Küche. Das Jahr 1983 war noch jung. Das Balkonfenster tauchte das Zimmer in sein graues Licht. Die Couch war ausgezogen, wie immer. Hinter mir das zerwühlte Bettzeug. Gegenüber stand der weisse Küchenschrank, auf den die gute Oma, von der ich anfangs sprach, stolz gewesen war. Sie hatte ihn nur ungern meinen Eltern überlassen, als sie in eine kleinere Wohnung ziehen musste. Die versetzen alles, rief sie manchmal aus.

Nach meinem trotzigen Auszug aus der Polit-WG habe ich viele Dinge einfach weggeschmissen, sogar Briefe. Es sollte ein Neuanfang ohne Ballast sein. Am Ende besass ich nur noch einen Gitarrenverstärker und zwei billige E-Gitarren, die sich nicht stimmen liessen. Auch hatte ich eine Spiegelreflexkamera, die „Canon AE 1”, die ich vor meinem Vater versteckte, damit er sie nicht zum Pfandhaus trug. Ich nahm sie nur noch selten in die Hand, um ab und zu ein Porträt meines Elends zu machen. So fotografierte ich mich mit spitz aufgestellten Haaren, von getrockneter Seife zuverlässig in Form gehalten. Aus meinen Augen schaut Traurigkeit, mein Gesicht ist eingefallen, auf den Lippen liegt Trotz, vielleicht auch Verächtlichkeit. Von meinen wenigen Klamotten war mir nur meine Motorradleckerjacke wichtig. Auch sie wurde Punk. Sie zeigte überzeugt farbige Lackschlieren, ein paar Nieten und Bekenntnisse wie Fuck Nazis und Scheiss System.

Da sass ich auf der Couch, die keiner mehr machen wollte, dürr und blass. Vielleicht war ich guter Dinge und wollte in die Stadt, um Tom zu treffen, von dem ich hoffte, dass er ein Freund werden würde. Kennengelernt hatte ich ihn über meine erste Kleinanzeige. Vielleicht schob ich auch Weltschmerzblues und dachte an die Gosse, die man mir prophezeit hatte. Kein Wunder, ich hatte nicht nur der Schichtarbeit bei Opel den Rücken gekehrt, sondern auch zwei Ausbildungsplätzen. Mein erster Beruf hieß je nach Sprachkompetenz entweder Elektroinstallateur oder Strippenzieher. Die Firma folgte dem Prinzip der billigen Arbeitskraft mit möglichst vielen Lehrlingen, um sie bevorzugt auf großen Baustellen mit Bauwagensiedlung einzusetzen, gebaut in der bayerischen Pampa. Die Berufsschule hatte ich bis zum letzten Zeugnis besucht. Sie hatte mir Spaß gemacht. Zum ersten Mal in meinem Leben begriff ich, dass ich nicht dumm war, wie ich immer dachte. Gleich in den ersten Monaten verlor ich die Angst vor den schulischen Anforderungen. Das hatte ich dem Klassenlehrer zu verdanken, der Fahlmann hieß und der mit Hochwasserhosen, Rauschebart und viel Humor das Beste aus den halbstarken Schülern herauszuholen wusste. Er schaffte es stets aufs Neue, selbst Mathematik und Fachkunde mit spöttischem Humor und einfach strukturierter Beharrlichkeit interessant zu machen. Als der Blockunterricht des dritten Lehrjahres vorbei war, wurde es düster um meine Stimmung. Mir blieben ein halbes Jahr nur Praxis, sprich, trostlose Arbeit auf trostlosen Baustellen. Fünf Tage die Woche. Ohne einen Berufsschultag oder weiteren Blockunterricht. Allein der Gedanke war mir unerträglich. Die Gründe für meine Abneigung waren gewachsen wie Unkraut zwischen Wegplatten. Da war der Ärger mit den beiden Chefs, weil ich mich weigerte, auf Fernmontage zu gehen und im stickigen Bauwagen zu wohnen. Zwei Wochen am Stück. Nicht nur einmal. Auch nicht gegen Lohn, sondern für Freistunden. Nicht mit mir! Meine Verweigerung wurde prompt belohnt. Man wies mir lehrreiche Baustellen zu, vorzugsweise Lagerhallen. Ich schob im dritten Lehrjahr Gerüste oder stand selbst darauf, um ungesichert und zwischen Springleranlagen dicke, schwere Kabel zu ziehen. Anstatt eine Verteilung zu verkabeln, stemmte ich Dosen aus den Beton oder bohrte Deckendurchbrüche. Von unten nach oben. Meine Beschwerde bei der Handwerkskammer hatte keinen Erfolg, obwohl man mir dort Intervention versprach. Entsprechend war mein Ansehen bei den beiden Geschäftsführern extraordinär. Gelegentlich gönnten sie mir auch stumpfsinnige Lagerarbeit, der mir immerhin einen pünktlichen Feierabend in Aussicht stellte. Dort ließ man mich aufräumen.

Einmal feilte ich selbstvergessen kleine Kupferquader. Darin stanzte ich Autonummern. Wunderschöne Schlüsselanhänger wurden das. Und damit sie noch schöner werden sollten, kam eines Tages der studierte Geschäftsführer ins Lager. Der Ingenieur, wie er entweder in despektierlicher oder in arschkriechender Tonlage genannt wurde. Der Ingenieur fuhr stets und demonstrativ mit schnittigem BMW vor. Die größte Hektik auf dem Hof war dann bereits vorbei. An einem Tag kam dieser Mann zu mir ins Lager. Mit seinem gut sitzenden Anzug sah er, im Gegenlicht kommend, wie eine unwirkliche Erscheinung aus. Die wollte mir zeigen, wie man die Kanten des Kupferquaders richtig rund feilt. Das Ergebnis war leider nicht sehr zeigenswert. Die Erscheinung hatte meine schöne Rundung ruiniert. Danach setzte sie zu einer Rede an. Sie wollte mich zur Besinnung bringen und appellierte an meine Vernunft. Es reiche, wenn ich einmal auf Fernmontage ginge, so wie alle Lehrlinge es täten. Manche machten das sogar gerne. Also könne es doch nicht so schlimm sein. Warum es sich unnötig schwer machen? Für mich würde es nur Vorteile bringen, ein Hand wasche schließlich die andere. Solche Sprüche am laufenden Band. Ich blieb stumm und sah knallhart auf die versaute Rundung. Die Erscheinung ärgerte sich, drohte freundlich mit Konsequenzen und verschwand. Schließlich stand die kleine Hektik des Feierabends bevor.

Die große Hektik gab es immer morgens. Sie wurde zuverlässig vom zweiten Chef, ein in die Geschäftsführung aufgestiegener Meister, mit fuchtelnder Tatkraft vorangetrieben. Ständig betraute er irgendwelche Herrn Von-und-zus mit Aufgaben, für die sie nicht zuständig waren. Beine machen war seine Leidenschaft. Der Mann hatte mich auch eingestellt und war beeindruckt gewesen, dass ich mit Dreisatz und Zinsrechnung keine Probleme hatte. Er staunte ironisch, dass ich so früh in meinem Leben elektrische Geräte wie Kofferradios und alte Staubsauger auseinander gebaut habe. Ich verschwieg, dass ich einige Male die Kraft elektrischer Ströme zu spüren bekommen hatte und sie überlebte. Er lobte meine Tatkraft, die in seinem Betrieb eine glänzende Zukunft haben werde. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wohlgemerkt, Ende der siebziger Jahre. Er tat, als wäre meine Einstellung Güte und gab ein paar Anekdoten aus seiner Lehrzeit dazu. Eine Lehrzeit, dessen Härte mit Heute nicht zu vergleichen sei. Aber auch heute seien Lehrjahre keine Herrenjahre, das dürfe ich nie vergessen. Ich vergass es nie.

Einige Monate später trat ich meine erste Schicht an. Ich stand da wie einer, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Mitten im Gewimmel suchte ich Halt wie ein Nichtschwimmer, der schon ertrunken war. Ich wusste nicht, wo ich mich hinstellen sollte und wer für mich zuständig war. Das war dem zweiten Chef sofort ein Dorn im Auge. Alles, was einfach so dastand, war ihm ein Dorn im Auge. Mit fuchtelnden Armen befahl er mir, eine Trommel Kabel zu holen und ließ dabei ein kryptisches Wort fallen. Bevor ich eine Frage stellen konnte, sagte er im Weggehen: Ja, worauf warten sie noch! Nicht einschlafen! Glücklicherweise erbarmte sich ein stämmiger Geselle mit Gigolo-Schnäuzer. Er zeigte mir das Kabellager. Die Type des Kabels hatte ich vergessen. Ich wagte nicht nachzufragen und ging. Schnell weg, dachte ich mit Trotz und Versagensangst. Ja nicht heulen. Das war mein Einstand mit dem riesigen Gedanken: 40 Jahre! Das schaffe ich nie!

Rechne ich die Unterbrechung wegen meines Verkehrsunfalls hinzu, habe ich knapp vier Jahre später die Brocken geschmissen bei dem Verein. Ich erinnere mich an die Genugtuung, die ich am Telefon spürte, als ich dem Ingenieur meine Entscheidung mitteilte. Er reagiert zuerst betroffen und dann kiebig. Mir war das scheißegal, ich war froh, aus dieser Geschichte heraus zu sein.

Drei Wochen später fing ich bei einem Autokonzern an. Schichtarbeit im Akkord. Dafür endlich Kohle satt!

 

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Dass ich überhaupt an Shit kam, lag an meinem Nachbarn. Der wohnte wie ich im Erdgeschoss, gegenüber meiner Tür. Meine Wohnung war im Haus einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft, eine Sozialwohnung. Sie hatte zwei gleich große Zimmer, eine kleine Diele und einen Schlauch mit Klo, Waschbecken und Minibadewanne. Die Wohnküche hatte ein breites, dreigeteiltes Fenster und zeigte auf eine Reihe hoher Sträucher, die vor allzu viel Tageslicht schützten. Anfänglich sass ich auf der niedrigen Fensterbank und berührte mit wippendem Fuß den Lehmboden, auf dem kaum etwas wuchs, bis ich das langweilig fand.

Das Haus hatte sechs Parteien, drei auf jeder Etage. Es stand in einer Reihe mit anderen missmutig auf die Welt schauenden Häusern. Ihre Fassaden waren in einer lichtabweisenden Farbe, die wirkte, als wolle sie Farben generell als Illusion hinstellen. Vor den Häusern waren Wiesenparzellen angelegt, eingefasst in länglichen, schmalen Steinen, auf denen Moos und Flechten wuchsen. Auf den Wiesen, die sich für ihr schüchternes Grün zu schämen schienen, standen Wäschetore aus feisten, rostendem Eisen, die sich in paralleler Anordnung belauerten. Manche verbanden vergessene Wäscheleinen. Zwei große Bäume, die die karge Sonne für sich allein beanspruchten, tauchten die Szenerie an dunklen Tagen in graue Trostlosigkeit. Lichtblick in diesem Ensemble menschlicher Baukunst zur Aufbewahrung von Arbeiterfamilien aus Stahlwerken war der kleine Lebensmittelladen am Ende der Häuserreihe. Der warf bereits in den frühen Morgenstunden tapfer sein warmes gelbes Licht auf den schmalen Plattenweg entlang der Häuser und lud zum Brötchenholen ein. Brötchen holte ich dort oft, um sie mit zwei weichen Eiern und viel brauner Plörre zur einzigen Mahlzeit des Tages zu machen. Ab und zu gönnte ich mir auch eine Dose Ravioli, die ich bei Plus kaufte. Manchmal auch eine Dose Erbsensuppe, auf denen unappetitliche Fettaugen schwammen, die mich fragend anzuglotzen schienen. Umso schneller waren sie im Topf und gleich verrührt, damit mir das, was ich damals Hunger nannte, nicht verging.

Die Nachbarn sah ich selten. Oberhalb wohnte wohl ein Ehepaar, recht jung und immer wortkarg. Neben ihnen eine ältere, einsame Frau, die immer dann Gift spuckte, wenn die Sauberkeit des Hausflurs zu Wünschen übrig ließ. Stets war sie bereit, die Putzwoche ihrer Nachbarn misstrauisch zu inspizieren. Doch ich führte sie mit meiner ausgeprägten Putzunlust, die mich findig und windig machte, hinters Licht. Zwar musste sie mich mehrmals mit kiebiger Stimme an meine Pflicht erinnern, doch mit der Zeit sprach sie auch manchmal mit wohlwollender Stimme zu mir, wohl auch, weil sie mich als ruhigen Nachbarn wahrnahm, der zwar wie ein Penner herumlief, aber letztendlich doch den Flur putzte. Ich tat ihr also folgsam den Gefallen und entwickelte eine einfache Technik, um das Treppenhaus bis herunter in den Keller blitzschnell blitzblank zu bekommen. Mit gespitzten Ohren bewegte ich mich schnell und leise mit einem nassen Aufnehmer von Treppenstufe zu Treppenstufe. Den Dreck, den ich dabei einsammelte, gab ich unbemerkt der Hauswand unter meinem Badezimmerfenster ab oder entsorgte ihn in der Kellerecke unter der Steintreppe. Das dauerte nicht länger als fünf Minuten und aufatmend dachte ich, die Scheisse is erledigt für en paar Wochen! Vielleicht schaute ich während meiner Putzrunde auch horchend auf die Tür meines Nachbarn, der sich als ein Mann erwies, der in keine Schublade einzuordnen war. Als ihn das erste Mal sah, staunte ich auf. Er trug eine mit Lilaglitzerlack besprühte, stocksteife Lederhose und ein verwaschenes Sweetshirt, das sich wankelmütig zwischen grau und purple rain hin und her definierte. Das trug er jeden Tag. Wie auch den Southernrock-Bart, der wild in alle Himmelsrichtungen wuchs und sich den unkontrolliert wachsenden Augenbrauen zu nähern schien. Er war mir wie ein freakiger Bär, der der deutschen Sprache mächtig war, aber nur selten Sätze sprach, die mehr als drei oder vier Wörter enthielten. Als er sich mit Woschi vorstellte, nicht lange bevor Super Mario und seine Freunde die Konsolen der Welt eroberten, war er mir gleich seltsam vertraut und ich wusste, vor Woschi würde ich keine Furcht haben müssen. Sein ausgeprägter Gleichmut löste umgehend Sympathie und Neugier aus. Das schien er zu spüren, denn es dauerte nicht lange, da lud er mich zu einer Wasserpfeife und einem Bier ein. So lernte ich eine bunte Clique kennen, wie man damals seinen Freundeskreis nannte. Und bunt war die Clique wirklich! Jede friedliche Runde mit Joint oder Pfeife, die ich dort erlebte, war von anderen mehr oder weniger redseligen Menschen bewohnt. Sie sassen auf breiter Couch, dicken Sesseln, wackeligen Campingstühlen, vor ihnen ein tonnenschwerer Tisch aus marmoriertem Stein und dickem Holzgerüst; geduldig trug er zahlreiche leere Flaschen, verstreute Tabakkrümmel, schmutzige Gläser, zerknüllte Zigarettenschachteln, tiefe Staubfingerbahnen und einen vergessenen Teller, den keiner mehr anzufassen wagte. Manchmal sass dort der typische Berufsschüler mit Jeans und hellblauer Jacke aus Ballonseide neben einem Typen mit kurzen Haaren, zwischen denen luftig die Kopfhaut schimmerte und der wie ein auf halber Strecke verreckter Rocker wirkte. Das war Otze. Er gehörte zum Kernteam von Woschi. Er war immer mit dabei, wenn ich in Woschis Wohnung oder mit ihnen unterwegs war.

Oft waren auch die magere Lila und ihr ausgemergelter Schäferhund bei Woschi. Lila war wirklich lila, von oben bis unten, wenn man von den schwarz in blond oder blond in schwarz gefärbten Haaren absah. Am Hals trug sie ein lila gefärbtes und mit Goldfäden durchwirktes Tuch. Darunter stets die schwere lila besprühte Lederjacke mit zig Stickern darauf. Ihre dünne lila Jeans war an vielen Stellen eingerissen und trug den obligate Nietengürtel, der schwer an der Hüfte herunterhing. Ihre Beine waren sehr dünn und schienen die Kleidungslast nur mit Mühe zu tragen. Ihre Hände schützte sie auch im Sommer mit Lederhandschuhen, aus denen ihre Finger hervorlugten. So konnte sie sich besser die nächste Kippe drehen. Sie schaute immer leidend durch die Landschaft. Einerseits mochte ich sie auf eine Art, die mit Mitleid in Verbindung stand, weil sie oft verloren und haltlos wirkte. Ihren Alkoholismus, den Woschi und Otze verachteten, obwohl sie selbst nicht die sparsamsten Säufer waren und jeden Tag kifften, was sich Lila immerhin sparte, schien ihr eine Strafe, der sie sich hilflos ausgeliefert sah. Manchmal genoss Lila sie auch. Sie spürte, dass sie eher geduldet als gemocht wurde und litt darunter. Sie wurde aufdringlich in ihrem Selbstmitleid, wenn man aufrichtiges Interesse zeigte und den Geschichten über ihre lieblosen Eltern und die verdammte Sucht zuhörte. Zuhören war in diesen Kreisen geübtes Weghören. Die Ohren gingen verläßlich auf Durchzug. Das bekam Lila zu spüren. Mehr als ein Dutzend Sätze hintereinander wurden als Zumutung empfunden. Musik, Kiffen, Szenetratsch, die letzten Festnahmen einiger Dealer und manche Aktionen der Hausbesetzer waren in der Regel die Themen, die man zwischen Wasserpfeife und Bierflasche abhandelte, um sich dann einem tiefen Schweigen hinzugeben, das von Gibmal- und Holmal-Kommandos sowie von einem gelegentlichen Musikzustimmungsgrunzen unterbrochen wurde. Probleme existierten nur, wenn die Probleme für einen selbst oder die eigenen Freunde nicht mehr im wassergekühlten Rauch aufgelöst werden konnten oder wenn irgendein Arschloch die Regeln des vertraulichen Austausches von verbotenen Genussmitteln brach. Dann konnte es auch leidenschaftlich laut werden! Wobei Woschi auch das an sich abprallen ließ und höchstens kräftig mit dem Kopf schüttelte, als wolle er das unangenehme Ereignis aus seinen mit THC ausgekleideten Hirnwindungen hinauskatapultieren.

In diesen Monaten begann trotz des Kiffens bei Woschi mein Alltag an Dynamik zu gewinnen. Zwar hing ich oft in der Bude ab, aber das brachte das Schreiben mit sich. Ich schrieb, angeregt durch Alltagserlebnisse, kurze Real-Satiren, die von einer guten Idee und Übertreibungen getragen, einen gutgläubigen Idealismus verrieten.

Jeden Morgen wartete ich auf den Briefträger, der damals ein männlicher, uniformierter Spaziergänger und deren Gesicht nicht vor Stress und Eile abweisend war. Die Briefträger mit ihrer großen Ledertasche waren noch stoisch ihres Weges gehende Vorposten einer behäbigen Armee namens Post, deren sicheres Feldlager Staat und Bürokratie hieß. Sogar auf die Ankunftszeit konnte ich mich verlassen. In den knappen zwei Jahren, die ich dort wohnte, tauchte verläßlich dasselbe Gesicht auf, wenn ich zufällig an der Eingangstür hantierte und hoffte, dass er mir ein paar Briefe brachte. Briefe von Interessenten, die auf meine Kleinanzeigen geantwortet hatten. Briefe von zumeist punkaffinen Frauen, mit denen ich einen regen Austausch anfing. Meine Kleinanzeigentexte hatten sie neugierig gemacht, wohl weil sie witzig, ironisch und zugleich aufrichtig waren und zur phantasievollen Freizeitgestaltung aufriefen, was für einen Punk ungewöhnlich war. Früher oder später stattfindende Treffen blieben nicht aus, auch wenn manche Städte, zu denen ich fuhr, an den Grenzen unserer Region lagen. Die Fahrten mit Bussen, Bahnen und lustlos durch die Landschaft ratternden Zügen waren Teil des Unternehmens: Freunde zu gewinnen, eine Frau zu finden. Es gab immer etwas zu erleben unterwegs, nicht selten provoziert durch den Kontrast zwischen den Pendlern und meine abgerockte Erscheinung.

Manchmal war ich auch mit Tom und seinem Freund unterwegs, lustig und ausgelassen. Albern äfften wir Sprüche aus der Werbung nach. Unvermittelt schrieen wir Nieder mit dem Scheiß-System in den Schlauch der Straßenbahn. Wir standen vor Reklametafeln und leckten an den beworbenen Waren oder anzüglich an Körperteile der abgebildeten Models. Unsere Mitmenschen kümmerte das wenig. Stumm und brav gingen sie an uns vorbei und rangen sich gelegentlich ein Kopfschütteln ab. Ihre Gleichgültigkeit war mir ein Rätsel. Manchmal nahm ich die Passanten als müde und wie abgerichtet wahr. Mitleid und Verachtung zugleich überkam mich. Ich spürte, dass sie mir näher standen, als ich wahrhaben wollte.

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Muss ich Jutta erwähnen? Ich muss Jutta erwähnen! Jutta, die pfiffige, agile Kunststudentin, wirklich. Mit ihr war ich anfangs totally together. Wir trafen uns alle paar Monate und besuchten Veranstaltungen der Friedensbewegten, Flohmärkte und lokale Gigs von Punk- und Reggaebands. Wie in einem Rap-Battle (ich liebte Grandmaster Flash) spielten wir uns spöttische und übertriebene Bemerkungen über das Treiben, Sprechen und Appellieren um uns herum zu und fühlten uns über allem erhaben. Vielleicht war sie sogar der erste Mensch, mit dem ich mich zaghaft über meine Gefühle und Sorgen austauschte, ohne dabei das Gefühl zu haben, ich erzählte es einem Menschen, den ich über mir sah oder der mich als Attraktion betrachtete. Betty gegenüber hatte ich nach einigen Monaten etwas von der unbeschwerten Vertrautheit verloren. Unsere gelegentlichen Treffen beschränkten sich großenteils auf Sex am Abend, der immer in meiner Wohnung stattfand. Ich verließ mich darauf, dass sie danach wieder nach Hause fuhr. Wir blieben nach den ersten intensiven Gesprächen einer seltsamen Oberflächlichkeit verhaftet, die sich auf das Einlegen des Diaphragmas, Probleme auf der Arbeit und Essgenuss beschränkte.

Ich verstand nicht, warum Betty so gut wie keine moralische Empörung kannte. Sie teilte zwar linke Forderungen, sah aber nicht ihre Dringlichkeit. Betty beharrte auf die gewohnten Bequemlichkeiten im Rhythmus zwischen Arbeit und Freizeit. Ihre Freizeit bestand oft aus harmlosen Genußaktivitäten. Das war mir zu wenig. Das durfte nicht alles sein. Ich wollte nicht beschränkt sein auf irgendein privates kleines Lebensglück. Das erwartete ich auch von anderen, was mein Leben nicht leichter machte. Immerhin konnte ich Betty mit der Frauenfrage provozieren. Ich warf ihr Chauvinismus vor, denn Betty brachte Verständnis für die These auf, dass Männer potentielle Vergewaltiger seien. Ich fühlte mich seltsam gekränkt — in meiner Ehre als Mensch? Ich erinnerte sie daran, dass ich bereits in meiner vorpolitischen Zeit solidarisch mit den Frauen war und Sexismus intuitiv verachtete. Wie könne ich da ein potentieller Vergewaltiger sein! So sei die These nicht gemeint, behauptete sie, während ich meine Frage nicht beantwortet sah. In vielem aber, was die Rolle der Frau in der Gesellschaft anging, folgte ich Betty. Vios Büchner in der Wohngemeinschaft zuvor und Bettys gut sortiertes Bücherregal machten mir Fakten und Zusammenhänge über die Ungleichheit der Geschlechter begreiflich. Ich empörte mich über die alltägliche Gewalt gegen Frauen und bekam zugleich eine Vorstellung davon, wie wenig die Leistungen der Frauen für die Gesellschaft wertgeschätzt und entlohnt wurden. Das hatte ich schnell intus und ist bis heute ein Bestandteil meines politischen Immunsystems.

Die Zeit der Suche nach einer politischen Identität war geprägt durch feinen Antennen, die Ausgrenzung zuverlässig registrierten. Antennen, die auf etwas verwiesen, das verborgen in mir lag. An ihnen hing ein feiner Draht, der mich mit einer Empfindsamkeit verband, die ich mit auf die Welt gebracht hatte und die unter Angstbergen, Beschämungen und Verletzungen verschüttet war. Oft hörte ich die leisen SOS-Signale nicht, die mich vor drohenden Angstexplosionen zu warnen suchten. Stattdessen legte ich alles in die Empörung, die immer dann heiß lief, wenn ich mit der willkürlichen, gewalttätigen Welt konfrontiert wurde oder selbst Gewalt und Ausgrenzung erleben musste. Ich war fassungslos, als ich verstand, dass in den vergangenen Jahrzehnten weiter fleissig Kriege geführt wurden und wer daran verdiente. Der Westen nicht zu knapp, das machte mich noch wütender. Das war kein abstraktes Geschehen. Ich sah die, die nur leben wollten und unschuldig starben. Ich wusste, das sie niemals Krieg wollten, sondern nur ein wenig Lebensglück, das weit unter den Ansprüchen lag, die in meiner Welt mit Besessenheit und Ellbogenkraft behauptet wurden, selbstverständlich waren. Die Gemordeten waren Menschen. Sie wurden vernichtet wie Dinge! In meiner Wahrnehmung wurde so getan, als ob das nichts wäre, in der Presse, im Fernsehen, im Radio, in den Reden der Menschen um mich herum. Statt Protest und Kritik kamen kalte Zahlen. Das machte mich wahnsinnig, genauso wie es mich wahnsinnig machte, dass das gewährte und bewährte Morden den meisten Menschen gleichgültig schien. Das sei doch weit weg, diene schließlich unseren Interessen. Kriegsverbrechen, ach wo! Realpolitik halt. Der Russe mache es nicht anders. Mir drückte das die Kotze in den Hals. Ich verachtete Politiker, die nicht den Mut für die kleinste Kritik am großen Verbündeten fanden, ja sogar Pazifismus als Nestbeschmutzung verunglimpften. Das bewirkte in mir genau das Gegenteil von der heute vielzitierten Politikverdrossenheit. Bei mir wurde daraus Politikerverdrossenheit und Kapitalismusverachtung. Ich verstrickte mich in Empörung, die von einer ganz anderen Wut, einer persönlichen Wut, einer verborgenen Wut, einer grenzenlosen Wut, einer existentialistischen Wut befeuert wurde.

Betty nahm meine Empörungsschübe zur Kenntnis, manchmal stoisch und still und manchmal so, als habe sie gar nicht zugehört. Anfangs traute ich mich nicht, ihr das direkt zu sagen, stattdessen war Unlust auf Sex meine Antwort. Manchmal wies ich sie ab. Einmal stand sie unerwartet in der Tür. Sie betrat lächelnd meine Wohnung und hielt eine Flasche Rotwein hoch. Mein brummiges Gesicht sah sie nicht. Ich ärgerte mich über den Rotwein, den ich zum Kotzen fand. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals ein Glas angerührt zu haben. Genervt und überrumpelt ließ ich Betty in die Küche. Ihrer Lust und dann auch meiner, konnte ich an dem Abend nicht widerstehen. Wir schliefen miteinander, kurz und heftig. Einmal wollte Betty unerwartet bei mir übernachten. Ich vertröstete sie heuchelnd auf das nächste Mal und atmete auf, als ich wieder alleine war.

Ich begriff, dass Betty in einer anderen Welt lebte, in einer Welt der alltäglichen Genüsse, der gesicherten Sicherheit und der politischen Gleichgültigkeit, die sich aufs Mitlaufen und manchmal auch Wählen beschränkte. So redete ich mir meine Liebe und Lust klein, schob Verachtung und Moral vor. Jutta erzählte ich nichts davon. Mir war peinlich, ihr von dieser seltsamen, ungleichen Liebe zu erzählen. Auch fürchtete ich, ich wusste selbst nicht warum, Jutta damit zu kränken. Vielleicht weil ich mir einbildete oder befürchtete, dass Jutta mehr von mir wolle. Ich dachte wahrscheinlich, sie wolle mir an die Wäsche, eben weil ich ihr auf keinen Fall an die Wäsche wollte. Mit den vielen Gesprächen und dem herzhaften Lachen entstand eine Nähe, die ich genoss. Eine ersehnte Nähe, die zuverlässig in mir den Wunsch nach körperlicher Vereinigung weckte, als wären das zwei Seiten einer Medaille. So fühlte sich mit Jutta die Nähe manchmal wie eine halbe Nähe an, was ich nicht immer gut aushielt. Ich konnte nicht die geringsten Anzeichen einer Lust auf Jutta entdecken. Ihr dünnes kurzes Haar, ihr kleiner spitzer Mund, ihr ganzes Erscheinungsbild stießen mich körperlich ab. Auch wenn ich mit dem Gedanken spielte, ihr näher zu kommen, ich konnte ihrem Körper nichts erotisches abgewinnen und schämte mich dafür. Das waren alles keine klaren Gedanken, das war eine Art emotionale Huscherei im Gemüt, die mich verwirrte.

Auf meinem letzten Treffen mit Jutta hat sie vielleicht etwas gespürt davon. Wir gingen spazieren in einer Landschaft, die sich als Natur aufspielte. Ich hätte am liebsten abgesagt, war aber bereits zu ihr unterwegs gewesen. Zum Lachen war mir nicht zumute, was ich anfangs überspielte. Auch Jutta schien mir nicht so locker und lustig wie sonst. Eine Fremdheit ging von ihr aus und am liebsten wäre ich wieder zurückgefahren. Ich traute mich nicht, ihr das zu sagen. Stattdessen fing ich an, mich über das Elend in der Welt zu mokieren. Einen konkreten Anlass brauchte ich nicht dafür, es reichte ein Stimmungsumschwung, wie er mich häufig überraschte. Dann wurde aus der guten Laune eine düsteres Gegrübel, das sich über Nacht in mein Gemüt eingeschlichen hatte und manchmal erst mitten am Tage wie aus einem Hinterhalt hervorpreschte.

Weiß ich heute, was damals mit mir passierte? Damals jedenfalls hatte ich keinen Schimmer. Ich war diesem Hin und Her aus Lust und Frust ausgeliefert. Mein Vokabular war zu limitiert, um die widersprüchlichen Empfindungen und Stimmungen in Worte bannen zu können. Ich war immer dann eingesperrt in mir, wenn ich mir selbst böse war, wenn Hass und Wut mich überkamen, wenn Zweifelattacken und Verklemmungspanik zu Fluchtimpulsen führten, die ich als Feigheit ansah. Ich fand immer einen Grund, mich selbst niederzumachen. Und wenn ich mir selbst zu schade war, mussten meine nächsten Mitmenschen daran glauben.

Als ich das letzte Mal unterwegs zu Jutta war, saß ich bereits in diesem Käfig und haderte mit der Welt. Im Bus und in der S-Bahn klagte ich die große Gleichgültigkeit an, unterstellte den Fahrgästen Abstumpfung, bezichtigte sie der Arschkriecherei gegenüber allem, was diese rasende Gesellschaft ihnen abverlangte und abnötigte. Alles nur konsumgeile Fernsehbrüter, die nichts hinterfragten, die sich ein A für ein U vormachen liessen und ihre Freiheit an den Meistbietenden verkauften.

Jutta wusste, dass ich in der Falle saß und sagte, als ich gerade Luft holte, ich täte mir nur selbst leid, ob ich das nicht merke. Ich erstarrte augenblicklich, war wie schockgefrostet. Ihre Worte fühlten sich wie ein Schlag in die wütende Brust an. Ich brachte noch eben heraus, dass ich das nicht glaube. Jutta dann: Ich glaube, deine ganze elende Kindheit spricht aus der Empörung, aus der Wut. Dein Leid is nicht das Leid der anderen! Moralische Empörung is die Falle, sie meint nur dich. Natürlich is die Welt scheisse und ungerecht, d’Accord, das war sie schon immer und sie wird das auch immer bleiben. Es gibt keinen Idealzustand. Es is sinnlos, ihn einzufordern. Verstehst du? Das klingt hart, ich weiss ja. Ich dachte, wir wollten ehrlich sein. Letztes Mal is mir schon aufgefallen, wie Du nicht mehr du selbst warst. Dein Humor und deine Gelassenheit, die ich so wohltuend an dir finde, verschwunden. Stattdessen warst du erbittert, hast die ganze Welt angeklagt, als müsstest du sie auf deinen Schultern nehmen. Vergiss es, bitte!

Sie berührte mich kurz Arm und sah zu mir hin, doch ich blickte starr geradeaus, rührte im brodelnden Gedankentopf, legte böse Worte auf den schwarzen Teller meines Gekränktseins. Ich suchte Sätze, die Jutta widerlegen könnten, doch alles was mir einfiel, schmeckte fad, schlecht, faul, sah schimmelig, verschrumpelt und zermatscht aus. So fühlte ich mich auch. Ich war unfähig, nur ein Wort herauszubringen, man konnte mir das chaotische Hinterherlaufen meiner Gedanken ansehen. Ich blieb im peinlichen Schweigen, bis ich es nicht mehr aushielt und den Mut fand, um zu sagen: Muss ich ersma verarbeiten. Ich fahre lieber, ok? – Klar, kein Thema, ich kapiers. Nimms nicht so schwer. Ich kenne sowas, ich hasse sie auch! Aber ich will das nicht mehr, alles auf die Welt schieben und scheinbar fein raus zu sein. Das funktioniert so nicht. Ich weiss noch nicht wirklich, was bei mir dahintersteckt, aber verstehse, ich will endlich hinschauen! Was treibt mich da, was quält mich? Weiche ich immer nur aus, weil etwas zu mächtig ist, wie als wäre zu viel Unglück in mir? Verstehse?

Ich verstand nicht, rang mir aber ein Nicken ab. Ich spürte, dass es Jutta ähnlich ging wie mir, aber das sie drei Schritte weiter war als ich, was mich abstieß von ihr.

Ich ahnte nicht, dass Juttas Mut lange nachwirken würde. Gespräche dieser Art hinterliessen Druckstellen im Kopf, die zur Einsicht drängten, wenn ich mir selbst im Weg stand. Ohne die Menschen, die mir aufrichtig eine Abzweigung vorschlugen, wäre ich auf der Stelle getreten und in meiner Wut geblieben. So ein Rettungsmensch war Jutta. Dankbar war ich ihr damals nicht. Zu Hause brütete ich über die Kränkung nach. Vage aber fies spürte ich, dass Jutta einen wunden Punkt getroffen hatte. Eingestehen konnte ich mir das nicht. Die Wut auf mich war noch zu stark.

19

Jutta sah ich nicht mehr wieder. Neue Freunde in der Nähe liessen sie mich schnell vergessen. Einmal schellte es bei mir. Woschi, Otze und Lila mit der Schäferhündin standen wie ein Ensemble aus einer Punky Picture Show vor meiner Tür. Otze fragte, ob ich mit ne Runde drehen wolle, an der besetzten Schule solle was steigen. An dem Tag war ich spontan und schloss mich an. Über abgesperrte Schleichwege wurde der kürzeste Weg gegangen, denn niemand kam auf die Idee, sich freiwillig mehr zu bewegen, als unbedingt nötig war. Wir gingen mit unseren Bier- und Brauseflaschen über ein großes, teilweise brachliegendes Betriebsgelände, das wie eine verkrustete Wunde zwischen der Innenstadt und meinem Stadtteil lag. Zuletzt wurde der Weg immer schmaler und zwischen nervtötenden, hohen Sträuchern sahen wir endlich die alte Schule, die hochnäsig und trotzig zwischen halb abgerissenen Häusern und asphaltierten Flächen lag, aus denen staubbedeckte Pioniere brachen. Auf dem Vorplatz der Schule war gut was los, es sollte eine Soliveranstaltung laufen. Mikrofone, Schlagzeug und Verstärker waren aufgebaut, als wollten sie der trostlosen Fassade dieser Vorkriegsschule zur Aufmunterung ein lustiges Liedchen entgegenschallen. Ich erfuhr, dass die Besetzung von der Stadt geduldet war und wunderte mich darüber. Soviel Toleranz hätte ich der Stadtpolitik nicht zugetraut. Es gäbe sogar die Chance auf einen befristeten Mietvertrag. Ein bundesweit bekannter und ebenso berüchtigter Theatermann und sein Ensemble setzten sich für den Erhalt ein. Die Schulräume könnten als Proberäume und kleine Inszenierungen genutzt werden, so ihre Argumente, wenigstens noch für ein paar Jahre, schließlich störe die Schule vorerst den geplante Bau einer Autobahnverlängerung nicht. Beste Kompromissargumente. Mich interessierte das wenig. In meinen sozialen Genen wurde das giftige Protein der Kulturverachtung immer wieder neu gefaltet, sobald Kultur etwas mit Sitzen und Zuschauen zu tun hatte. Ich nahm wohl erstaunt zur Kenntnis, dass sich Bühnenmenschen über ihren Horizont hinaus trauten und sich den Baggern des Fortschritts entgegenstellten. Das verlangte mir Respekt ab, auch wenn es nicht in mein Weltbild passte. Dafür passte Löty umso mehr in mein Weltbild. Er stand neben einer extrem beanspruchten Stereoanlage, die jeden Augenblick auseinander zu fallen drohte. Sie lockte mich mit harter Gitarre und schreiendem Gesang, der aus vermackten und zerkratzten Boxen schallte. Löty wippte anerkennend und seltsam in seiner ganzen bohnenartigen und auf die zwei Meter zustrebenden Länge. Er trug blondes, zersträhntes Haar, das ihm ständig ins Gesicht fiel und schaute schmalgesichtig und gutmütig über den sich füllenden Schulhof. Er trug einen blauen, ölverschmierten Overall, auf dem hinten der Name eines Mineralölkonzerns stand. Ganz in der Nähe hatte er eine kleine Werkstatt mit selbstausgehobener Grube und einem wackeligen Unterstand aus Brettern gebaut. Dort reparierte er seinen DS, der oft kaputt war. Auch half er nahen und entfernten Menschen, ihre rostenden Karren wiederzubeleben. Das Stromkabel für die wütende Beschallung kam aus dem Toilettenfenster der ehemaligen Hausmeisterwohnung, daneben war gleich der Eingang, der über eine kurze Steintreppe erreichbar war und dessen Tür weit offen stand. Aus der sah ich Magrit heraustreten, die ein Kind mit schiefer Windel, nacktem Oberkörper und verschmiertem Gesicht auf dem Arm trug. Sie selbst erschien im Feinripp-Unterhemd mit Grauschleier, unter dem geschmeidig und prall ihre Brüste wippten, mit denen sie ab und zu ihren Jungen stillte. Magrit war die Freundin von Löty und der verdreckte Sid ihr gemeinsamer Sohn. Sie wohnten in der Hausmeisterwohnung. Zur Familie gehörte ein großer gelber Hund, der nichts lieber tat, als stundenlang Stöckchen hinterherzurennen, wenn sein sehnsüchtiger Blick endlich von Herrchen gesehen wurde. Ich schloss die vier gleich in mein Herz und ich glaube, wir kamen über die Musik ins Gespräch. Magrit ließ Sid herunter, nahm ihm die Windel ab und überließ ihn sich selbst. Er bestieg sogleich den wartenden Hund, der das anscheinend gewohnt war, während Magrit eine Bierflasche ansetzte. Sie harkte sich unter Lötys Arm ein und ich begrüßte sie mit meinem Namen. Später lernte auch Betty die vier kennen und mochte sie wie ich.

Einmal, als der Sommer seine heißen Tage hatte, fuhren wir alle zu einem Baggersee, der nur durch Löcher im Maschendraht zu erreichen war und zelteten neben einer hohen Sanddüne, die steil und direkt zum Wasser führte. Wir wollten dort eine Nacht verbringen. Betty und ich warteten nicht so lange, sondern verkrochen uns ins heiße Zelt und tanzten laut und ausgiebig nicht den Mussolini, sondern laute Orgasmen. Als wir danach aus dem Zelt krochen, dämmerte die Sonne bereits Richtung Kiefernhorizont und Magrit sagte grinsend auf ihre trockene Art, dass bei uns aber die Post abginge, was! Woraufhin Löty so verlegen grinste, dass mir sein strähnengestreicheltes Gesicht noch heute vor Augen steht. Betty und ich sahen uns an und taten so, als ob nichts geschehen sei. Danach lief ich mit Löty und dem wilden Hund, der den Sandberg wie ein Irrer rauf und runter lief, zum See. Löty wollte ihn durchqueren und Magrit rief herunter, dass er aufpassen solle.

Das Leben hätte so weitergehen können, zumal meine Schreiberei Fans und Verständnis fand und die freie Liebe mit Betty sich in diesen Monaten wieder richtig anfühlte. Zugleich war ich intensiv mit einem Fanzine beschäftigt, bei dem Tom mir gelegentlich half. Ich hätte in dieser Zeit auch ein Zelt vor dem Kopierladen aufbauen könnte, wenn die Bahnhofspolizei nichts dagegen gehabt hätte. Ich wollte unbedingt auch die Rückseiten bedruckt haben. Auch hatte ich viel Text zu bieten, den ich in schmalen Spalten auf meiner Schreibmaschine getippt hatte und dann kleiner kopierte, um sie später auf zuvor kopierte Fotos aus Stern und Co zu kleben, um endlich alles zweiseitig kopieren zu können. Die Kopie der Kopie auf die Kopie der Kopie. Das Machwerk hieß Zynes, hatte zwanzig Seiten und die Auflage meiner Lieblingszahl: Sieben. Zynes war „nullparteilich, zynisch, geil, gnadenlos, chaotisch“. Auf dem Titelblatt prangte ein Schützengraben mit toten Soldaten, darüber stand: „Unsere tolle Perspektive“. Die Inhalte waren abenteuerlich gemischt. Es gab realsatirische Verunglimpfungen wie der Brief eines Jugendlichen namens Rudi Sucher, der von „Bundespanzer Hohl“ die versprochenen Lehrstellen einforderte. Man fand böse Texte gegen Polizeigewalt, Aufrüstung und die USA sowie Fotos von prügelnden Polizisten, die ich mir von Flugblättern und Broschüren der autonomen Szene geliehen hatte. Auf einer Seite wurde Nationalstolz als ein „rausgeschmissenes Gefühl“ hinterfragt und auf der nächsten die Berichte über Alkoholmissbrauch von Jugendlichen als heuchlerisch entlarvt. Es gab Collagen, die den Wahnsinn in den Headlines der Illustrierten feierten sowie Toms morbide Zeichnungen mit Totenköpfen, Skeletten und aggressiven Figurationen staatlicher Gewalt. Und bei all den Verallgemeinerungen, bei aller bösen und empörten Verteufelung von Polizei, Politik und Gesellschaft tropfte laut oder leise, konfrontativ oder zwischen den Zeilen ein Idealismus heraus, der zum Handeln aufrief und die Freiheit feierte, die wir trotz der Missstände, Aufrüstung und Gewalt nicht brachliegen lassen dürften. Rührend fast mein programmatischer Aufruf für einen Verein, der „Freiheit für Alle“ („FFA“) heißen sollte und einleitend festhielt:

„In der BRD gibt es Minderheiten, die von der Gesellschaft nicht akzeptiert und unterdrückt werden. Dazu gehören z.B. Rocker, Punks, Freaks, Lesben, Schwule, Ausländer, Knackies, Penner, Tätowierte u.s.w. (!) Die Ablehnung ... äußert sich z.B. bei der Wohnungssuche, bei Arztbesuchen, bei Behördengängen, bei Kontakten mit der Polizei, Speicherung in Punk- oder Rockerkarteien. [...] Unser Verein hat sich zum Ziel gesetzt, die verschiedenen Gruppen zusammenzuführen.“

Ein knappes Viertel dieses Textes thematisierte die „Stellung der Frau in der Gesellschaft“ * (*Fussnote: Ich hatte bis dahin so gut wie kein Buch von einer streitbaren Feministin gelesen. Marilyn French las ich bei Betty einmal an, doch bis zu der Passage, in der behauptet wurde, alle Männer seien Vergewaltiger und nichts anderes, schaffte ich es nicht. Ich beschränkte mich auf die Klappentexte von Büchern, die ich beim Stöbern in fremden Regalen entdeckte und las ab und zu die Zeitschrift „konkret”, die mein antikapitalistisches Schimpfen um neue Argumente erweiterte). In einem Absatz erklärte ich, dass die FFA zur Aufklärung beitragen wolle, in dem sie sich gegen „Rollenklischees”, „Gewalt gegen Frauen” und „Unterbezahlung” positioniere. Gedruckt im April 1983. — Knapp drei Jahre später gab es tatsächlich noch ein Gründungstreffen mit einigen Rockern und Szeneleuten, aber letztendlich war der Weg zur Anmeldung des Vereins zu aufwendig und Freiheit für Alle verlief im Sand einer Lebensperiode, in der ich eine geheime Sehnsucht nach Gemeinschaft und Identität mit einem naiven Idealismus verband, was nicht heißt, dass ich meinen Idealismus in hartnäckiger Kontinuität lebte. Nach dem die intensive Arbeit für Zynes getan und die Resonanz darauf enttäuschend war, fiel ich wieder in das dunkle Loch der Lustlosigkeit und überliess mich ziellos der Pur- und Wasserpfeiffe.

Ich erinnere mich an eine Odyssee quer durch die angrenzenden Städte, um ein abgelegenes Kino am Rande unserer Region zu erreichen, in dem Clockwork Orange lief. Mehr durch Zufall hatte ich eine Clique kennengelernt, die lose mit Woschis Wohnzimmer verbunden war. In der traf ich Evelyn und ihren Bruder, beide stets in verwaschenen Schwarz gekleidet und rein ohne jede Punk- oder Freak-Attitüde, beide eher still, die Eltern Arbeiter. Mattes, der Bruder war noch in der Ausbildung als Dachdecker und Evelyn arbeitslos. Evelyn weigerte sich, hinter die Theke, an die Kasse oder an die Schere zu gehen und wusste zugleich nicht, was sie wirklich wollte. Ich mochte sie gleich und verband schnell die Hoffnung auf ein Näherkommen, phantasierte sie mir als potentielle Freundin, musste aber schnell einsehen, dass sie mich so gut wie gar nicht als Mann wahrnahm, eher als einen, der gut zuhörte und ein mitleidiges Gesicht machte, wenn sie über die Trostlosigkeit des Lebens sprach. So wurde die Liebeshoffnung und die schüchterne Lust auf Evelyn abgelöst durch ein Mitgefühl, mit dem ich am Ende resigniert allein blieb. Ich versuchte ihr Mut zuzusprechen, sah sie aber immer auch mit einem bedrückendem Gefühl verloren und allein. Ich brachte es nicht einmal fertig, meine stets parate Aufforderung zum gemeinsamem politischen Handeln unterzubringen, das schien mir angesichts ihrer zartbitteren Resignation fehl am Platz, und am Ende schwieg ich ebenso ratlos wie sie.

Clockwork Orange stieß mich ab. Zu hart. Vor allem die Vergewaltigungsszene war mir zuwider und ich verstand nicht, wie man sowas drehen konnte, einmal abgesehen davon, dass ich nicht den geringsten Schimmer hatte, was Kubrick damit sagen wollte, ausser dass er Spaß an der Inszenierung einer Vergewaltigung habe. Auf den langen Weg zurück wurde deutlich, dass nur einer von uns den Film gut fand. Er rief sich Fliege und war ein schmächtiger Typ mit dünnen Haaren und schwerem Nietengürtel, den ich in den losen Punk- und Pennergruppen am Bahnhof zum ersten Mal gesehen hatte. Später lief er mir an der Straßenbahnhaltestelle über den Weg und tat so, als ob wir alte Kumpels wären. Er laberte mir die Ohren voll darüber, wie punkig der Punk und wie spießig die Spießer seien. Ich wusste nicht, warum er gerade in meinen Arsch kriechen wollte. Er redete ohne Sinn, bis die Straßenbahn kam und steckte mir beim Einsteigen noch, dass er eine Runde saufen gehe, als wäre das der Sinn des Lebens. Er war einen halben Kopf kleiner als ich und hatte dazu einen kleinen Kopf. Nach dem Kino hing er wie eine Klette an mir und kam immer wieder auf die Quälerei der Obdachlosen und die Vergewaltigungsszene zurück, als könne er diese Bilder nur durch Begeisterung verarbeiten. Obwohl ich ziemlich kaputt war, machte Fliege mich wütend und ich fragte, ob er nicht kapiert habe, dass ich den Film Scheiße gefunden hätte und nichts mehr darüber hören wolle, woraufhin er mich erschrocken ansah und ein Is ja gut in seinen Flaum murmelte.

20

Ich kam gerade vom Arbeitsamt und ging für einen Kaffee zur Stehbäckerei meines Vertrauens. Ich durchquerte die untere Etage des Bahnhofs, wo sich die Abgänge zu den U-Bahnen befinden und die mir als Abkürzung diente. Da kam Fliege breit grinsend auf mich zu. Er trug eine grüne Bomberjacke und Springerstiefel und hatte eine Glatze! Ich erkannte ihn zuerst nicht wieder. Erst als ich seine Stimme hörte, wurde mir klar, dass es Fliege war und für eine Flucht zu spät. Stolz erzählte er, dass er jetzt Skinhead sei. Als ich schief guckte, behauptete er, dass er natürlich immer noch ein Punk sei, nur dass er jetzt öfter Oi Oi Oi rufe, was total geil sei. Er grinste mich an aus seinem kleinen Kopf, der ohne Haare noch verlorener wirkte und erwartete meine Zustimmung. Ich sparte mir die Frage, ob er jetzt auch Nazi sei, wollte einfach nur endlich einen Kaffee bei den Rentnern an der Stehtheke trinken. Dort stand ich gerne vor dem großen Fenster und beobachtete die Leute. Ich sagte Fliege, toll, aber ich muß. Ich hob müde die Hand und ging. Er lief hinter mir her und lockte mit der Aussicht auf einen Joint bei seinen neuen Freunden. Die hätten ein Zeugs, da ginge die Post ab, ob ich heute Abend nicht mitkommen wolle. Da ich bei mir nicht mehr viel von dem Zeugs hatte und der Monat noch lang war, wollte ich mir eine geschenkte Dröhnung offen halten und sagte zu, um ihn endlich loszuwerden. Zufriedenheit im Gesicht ließ Fliege mich gehen und rief mir noch einmal die Uhrzeit hinterher.

An der Theke der Bäckerei holte ich mir einen Pott Kaffee, schüttete eine halbe Tonne Zucker hinein und Milch bis zum Rand. Die Rentner waren schon weg. Ich stand allein an der breiten Glasfront. Ich atmete noch einmal erleichtert auf darüber, dass mein Arbeitsberater wieder nicht auf das Antreten einer Stelle gedrängt hatte. Er hatte nur ein paar Vorschläge für mich. Einmal sagte er, dass er wohl sehe, dass mich diese Stellen unterfordern würden. Ich nickte dann nur ratlos und spürte schlechtes Gewissen aufkommen. Alle drei Monate hatte ich am frühen Morgen beim Arbeitsamt anzutanzen. An diesem Tag erinnerte er mich daran, dass ich mir für das nächste Mal überlegen solle, was ich wirklich machen wolle. Nur Mut, sagte er und lächelte zum Abschied. In der Bäckerei fragte ich mich, was will ich wirklich. Soll das ewig so weitergehen? Ich war bereits über ein Jahr arbeitslos. Ich genoss das immer noch als meine Freiheit, zugleich spürte ich, dass ich nicht wirklich weiterkam mit meinen Projekt Bildung mit Buch. Sollte ich dem Arbeitsberater sagen, dass ich Schriftsteller werden wolle. Dazu war ich nicht in der Lage, ich wusste nicht warum. Ich hatte keine Lust, mich das zu fragen, dann hätte ich mir eingestehen müssen, dass ich nicht an mich glaubte. Den Rest des Tages bummelte ich ziellos durch Einkaufsstraßen, hoffte, am Hauptbahnhof ein paar Punkkumpels zu treffen, was ich nicht tat. Ich überlegte, Tom anzurufen, liess es und erinnerte mich an Fliege und die Aussicht auf einen tiefen Zug aus einem Joint.

Ich traf Fliege an einer Haltestelle, die nicht weit von der besetzten Schule lag. Wir gingen zu einem fünfstöckigen heruntergekommenen Haus aus der Gründerzeit. Im Treppenhaus knarzten die Treppen. Es roch nach abgestandener Suppe und staubigen Holz. Der Weg nach oben kam mir lang vor. Als wir endlich vor der Wohnungstür standen, sah ich Einbruchsspuren an der Türzarge. Das war jemand nicht zimperlich gewesen. Fliege klopfte an die Tür. Ey, Fliege hier, schrie er, macht auf. Dann stand eine Glatze mit nacktem Oberkörper, Hosenträger und domestosgescheckter Jeans vor uns und glotze uns genervt an. Ich straffte mich. „Fliege und en Kumpel”, rief er nach hinten. "Weiss immer genau, wenns was zu paffen gibt", sagte die Glatze noch abfällig und ließ uns in eine rundliche Diele. Wir folgten ihm in einen verrauchten, schmutzigen Raum mit einer Funzel an der Decke. Auf einem fleckigen Dreisitzer sassen zwei andere Glatzen vor einem weissen runden Plastiktisch. Einer fläzte zurückgelehnt, einen Arm lässig über die Rückenlehne ausgestreckt und mit einem Baseballschläger zwischen den Beinen. Der andere hockte vornübergebeugt mit etwas Abstand daneben. Seine Glatze schimmerte im Licht der nackten Glühbirne. Er sah mit verzerrten Gesicht auf und sagte, wer issen der! Dabei bröselte er Shit in eine Kompottschüssel aus Glas, in dem dunkler Tabak wie ein Nest lag. Er setzte das Feuerzeug an, fluchte über das gestreckte Zeug und sah dann mit gerunzelter Stirn zu Fliege herüber. En Kumpel von mir, sagte er. Alte Punksorte, was, erwiderte der Jointmaster, woraufhin Fliege tänzelnd beteuerte, dass ich Ok sei. Ich sagte nur Tja und stellte polternd eine volle Plastiktüte mit Bier auf den Tisch, bevor ich mich auf einen wackeligen Plastikstuhl setzte. Bedient Euch, sagte Fliege, ohne einen Pfennig beigetragen zu haben. Korrekt, sagte der mit dem nacktem Oberkörper und nahm sich gleich eine heraus. Er entkorkte sie mit einem Plastikfeuerzeug als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes getan. Den Korken warf er der Glatze mit dem Baseballschläger vor die Brust, der daraufhin nach vorne preschte, so das beinahe der Baseballschläger wegkippte und fragte, ob er einen Schaden habe und dass es gleich was mit seinem Heil Killer gäbe. Er deutete auf seinen Baseballschläger, der einen mit schwarzem Isolierband abgeklebten Griff hatte. An einer Stelle sah ich ein eingeritztes Hakenkreuz im glänzenden Holz. Er nahm seinen Heil Killer anerkennend in beide Hände, drehte den Griff nach unten, hob den Schläger hoch und sagte mit hassgeschürzten Lippen: Ausländerfressen! Linke Bastarde! Oi Oi Oi! Heil Killer kommt Fresse polieren! Alle grinsten, während er die Rundung am oberen Ende streichelte. Er drehte sein Werkzeug wieder um und legte es zwischen die breit aufgestellten Beinen ab. Ich bezog seinen Hassanfall nicht auf mich. Alle sahen jetzt ungeduldig dem Jointmaster beim Bauen zu. Ich nahm mir gleichgültig eine Kanne, entkorkte sie so, als hätte ich mein ganzes Leben nichts anderes getan und nahm einen langen Schluck. Zum Glück hatte ich keinen Hang zu Schweißausbrüchen. Unaufhörlich ratterte die Frage in meinen Kopf, wie ich hier wieder heraus käme, vor allem heil. Nach dem Joint, ich durfte als letzter ziehen, nachdem Fliege ihn gierig heißgeraucht hatte, dämmerten alle vor sich hin. Von wegen gestreckt! Das Zeug ließ keinen klaren Gedanken mehr zu. Der Rauch war noch dicker geworden und waberte in Zeitlupe der Funzel entgegen. Plötzlich war die Stille hörbar. Wie is mit Mucke, sagte eine Glatze und eine anderer raffte sich mit einem Ruck vom Sofa auf und drehte eine Cassette in einem mit weißer Farbe bespritzen Cassettenrekorder um. Alle wippten mit dem Kopf und mir wurde leicht übel bei dem, was ich hörte. Ich trank mein Bier weiter und nahm den Hass hin. Dann wies der Typ mit dem Baseballschläger auf den Überläufer und sagte: Guck ma, Fliege abgeschossen. – Immer große Schnauze, aber nix dahinter! sagte der Jointmaster. Er schien mir der Kopf der Gruppe. Dann kam ein anderes Lied, das die drei Glatzen munter machte und ich fürchtete, dass alle gleich die Arme heben und Heil Hitler schreien würden. Aber es war nur ein kurzes Aufbäumen aus der hirnverbrannten Trägheit und sie fielen schnell wieder in ihre Sitze zurück. Ich wartete noch einen weiteren Song ab, stand dann auf und sagte, ich muss. Mit dem Kopf wies ich auf Fliege, der mit verlorenen Augen völlig bekifft da saß und nicht zu begreifen schien, wo er war: Den lass ich ma hier. Ich drehte mich, ging langsam in die Diele und bildete mir giftige Blicke in meinem Rücken ein. Draußen sog ich gierig die kalte Luft ein, drehte mich noch einmal misstrauisch um und wollte so schnell wie möglich nach Hause. Die Straßenbahn hatte ich verpasst, ich ging zu Fuß. Als ich in die dunkle kopfsteingepflasterte Seitenstraße einbog, die zu meinen Wohnquartier führte, wurde mir unwohl im Kopf und mein Körper schien mir wie durchsiebt. Ich schaute links neben mir in starrende Gebüsche, die den durchlöcherten Maschendrahtzaun zu verschlingen schienen. Ich schaute immer wieder hinein in das Dunkel und schüttelte den Kopf, überlegte, die Straßenseite zu wechseln, ermahnte mich zur Ruhe, beschwor souveränes Verhalten. Es war mir, als schliche etwas hinter mir her und als wolle sich gleich der Boden auftun. Ein Auto zerriss das Rauschen der Stadt, überbot das ferne Zischen und Hämmern der Fabrikhallen und durchbrach dabei das trübe Licht der Straße mit grellem, fliehendem Licht auf glänzenden Kopfsteinpflaster. Ich war geblendet. Das holte mich herunter, ich hasste das Geblendetsein. Das Auto bog ab, sein Lautsein verlor sich. Plötzlich stach in der dumpfen Dunkelheit meines Kopfes ein riesiger Lichtblitz hervor und war zugleich beherrscht von der Erwartung einer riesigen Explosion, die alles zerfetzen würde. Irgendwo war die erste Bombe gefallen, jetzt fielen sie alle, das ganze Arsenal des Wahnsinns, überall und mitten im Nirgendwo des Brachlands. Spinn nicht rum, dachte ich und wechselte zur Straßenseite mit den Laternen. Na und, dachte ich, die verdammten Nazis müssten dann auch dran glauben. Ich hatte es nicht mehr weit.

Erschöpft durch Shit, Alkohol und Paranoia versteckte ich mich in meinem Bett und sehnte mich nach dem nächsten Tag. Endlich wollte ich wieder mit klarem Kopf meine Ziele verfolgen. Ich schwor mir in den unruhigen Schlaf hinein, mit dem Kiffen aufzuhören. Am nächsten Tag staunte ich darüber, dass ich guter Dinge war. Ich beäugte meine Lust auf Veränderung, auf Taten, auf Schreiben mit tausend misstrauischen Augen. Sie verschwanden als ich mich von der Matratze hievte.

 

31 und 32  Lesezeichen          

31

Einige Zeit vor meiner großen Entscheidung – ob es Tage oder Wochen waren, weiß ich nicht mehr, fiel mir ein verändertes Verhalten bei Betty auf, während ich Hin- und Hergerissen war zwischen dem Entschluss auszuziehen und der Furcht, den Schritt in die Unabhängigkeit zu wagen, bezahlt mit sozialen Abstieg, ohne Rücklagen, ohne Möbel, ohne sicheren Verdienst. Soziale Sicherheit wog schwer in meinem Kopf. Schwer wog auch, dass ich mich feige fand. Entscheidend dafür, dass ich den Mut nicht fand, war das quälende Gefühl, ohne Betty nicht leben zu können, genauer, ohne den Sex mit ihr, der uns immer noch verband. Diese Lust auf sie, die mich manchmal überkam, konnte quälend sein und sie wurde umso quälender, als ich begriff, dass Betty sich mir entzog und dass sie an den Abenden wieder häufiger unterwegs war, ohne mir zu sagen, wohin sie mit guter Laune ging. Ich stellte sie zur Rede, aber sie sagte nur, sie treffe Freunde, ausserdem solle ich doch froh sein, der Kleine schliefe tief und fest und ich könne mich ja ganz meinem Studium widmen. Ich spürte, wie die alte Verzweiflung in mir aufkroch, die mich bei ihrer letzten Affäre in die Erniedrigung trieb. Doch ich blieb ruhig und wunderte mich darüber. Es war, als wollte ich mit dem Schmerz allein sein. Ich schien in einem Zustand geschärfter Sinne. Ich beobachte Betty aufmerksam, grimmig, verächtlich. Ich war angewidert von ihrer oberflächlichen Selbstsicherheit. Ihre Gleichgültigkeit mir gegenüber ließ sich nicht mehr leugnen. Ich hätte sie beleidigen und damit drohen können, die Wohnung zu verwüsten oder mich aus dem vierten Stock zu stürzen, ich spürte, sie war weit weg von mir. Ich war ihr egal. Sie machte Pläne ohne mich. Was sie nicht davon abhielt, gelegentlich das zweite Kind ins Gespräch zu bringen. Ich begriff das nicht, ich verstand sie nicht. Was trieb Betty? War ihr Wunsch nicht der Wahnsinn angesichts der verfahrenen Situation, angesichts der Entfremdung im Endstadium? War es Bettys Wahn, eine Familie mit zwei Kindern haben zu wollen? Oder war es auch, weil ich jeden Wisch für das Amtsgericht unterschrieben hätte, der mich als unterhaltspflichtigen Vater auswies, so wie es bei Marc gewesen war? Ich verstand sie nicht. Jedenfalls fragte ich Betty, bevor sie die Tür hinter sich schloss, ob sie einen neuen Freund habe, aber sie ging einfach hinaus und schloss die Tür. Ich riss sie wieder auf und schrie in den Hausflur, dass sie ruhig ficken gehen könne. Ich spürte, mein Schrei war etwas, was ihr unangenehm war, womit ich sie erreichen konnte: das Familienidyll im öffentlichen Raum als Lug und Trug hinzustellen, es durchs ganze Haus zu schreien. Betty bildete sich ein, dass die Nachbarn oben, unten und neben uns, nichts ahnen und wenig wissen würden, trotz unserer lautstarken Streits. Ich schlug die Tür zu. Ich setzte mich ins große Wohnzimmer, glotzte auf den fetten Fernseher und fing an, im Kopf meinen monatlichen Verdienst auszurechnen. Ein Jahr werde ich noch bei den Soziologen als studentische Hilfskraft sein können (der Professor deutete sogar einmal an, dass ein viertes Jahr möglich sei, es wäre nur ein Antrag zu stellen.) Ich fragte mich, wieviel ich für Miete einplanen müsse. Mir fiel der ASTA ein, der WG-Wohnungen vermittelte. Ich schaute mich in der Wohnung um und fragte mich, was ich mitnehmen könne? Die Bücher, die Schallplatten, die Matratze, die Musikanlage, den geliebten Schwingsessel, den kleinen Schreibtisch auf zwei Böcken, etwas Kleidung. Ich nahm wahr, dass sich die Idee des Auszugs von mir entfernte. Eine leise Gier drängte sich dazwischen. Die Gier hieß Videorekorder! Bräuchte ich unbedingt. Ein Bekannter hatte mir einen Sharp aus dubiosen Quellen angeboten, die Hälfte günstiger als im Laden, runde 700 Deutsche Mark. Ich könne nicht Nein sagen. Ich müsse ihn haben. Das Geld bekäme ich schon irgendwie zusammen. Ein kleiner Fernseher dazu stünde auch in Aussicht. Ausziehen könne ich dann immer noch. Shit, vielleicht würde doch noch alles gut. Illusion, das wisse ich. Aber ich müsse diese genialen Filme unbedingt aufnehmen, eine Pasolini-Reihe hätte ich schon verpasst. So ungewohnt, seltsam, irre seien seine Filme und gingen mir doch unter die Haut. Und die anderen, die kämen, die angekündigt waren, von Truffaut, nie gehört! Was zeigten sie? Wie zeigten sie es? Was verpasse ich schon Jahre lang! Ihre Filme waren eine neue Welt der Kunst mit tausend neuen Ansichten über das Leben. Ich müsse sie bannen! Ja, sie standen an den Anfang einer neuen Bildungsrunde. Sie erweiterten in den folgenden Jahren meinen geistigen Horizont und relativierten die strikte Vorstellung davon, was ich fühlen dürfe und was nicht. Davon ahnte ich an diesem Abend noch nichts. Ich blieb in meinem Zimmer und hörte spät in der Nacht, wie Betty nach Hause kam. Ich wunderte mich, dass ich ihr keine Szene machte, ich war müde und spürte, wie auf einmal alle Pläne in mir zusammenbrachen und ich in einen tiefen Jammer fiel und mich etwas Zermalmendes in der Unterseele quälte.

Betty musste früh raus. Müde stand sie in der Küche, trank ein Glas Wasser und meinte, sie würde sich einen Krankenschein nehmen, sie sei erkältet. Ich sah sie verächtlich an und fragte, ob es gestern schön gewesen sei. Ich wusste, ich kann mir soviel Distanz erlauben, denn ich hatte keine Lust auf sie, auch wenn ich sonst oft geil wurde, wenn ich ihre Brustwarzen durch das schlabbrige T-Shirt schimmern sah. Sie sah mich an, als würde sie mich jetzt erst wahrnehmen und fragte, ob ich völlig den Verstand verloren hätte, so sowas in den Hausflur zu schreien! Sie sagte, was sollen die Nachbarn denken. Das machte mir gute Laune und ich sagte, die Nachbarn denken sich schon lange ihren Teil, ob ihr das noch nicht aufgefallen sei. Sie sagte nichts und ging zum Telefon, um ihre Ärztin anzurufen mit der sie auf Du war. Ich blieb ruhig und sah Marc, den ich fertig machen sollte für die Kinderwerk. Mir fiel ein, dass der Kinderdienst auf mich wartete. Die schwere Nacht lag immer noch auf mir und ich hätte einfach abhauen wollen. Das ginge doch nicht. Marc sah mich erwartungsfroh an und fragte, ob ich heute im Kindergarten bliebe. Ich bejahte und fragte müde, ob er sich freue. Er sah mich an mit liebenden Augen, die mich zu verschlingen drohten. Für ein paar Sekunden brannten meine Augen, für ein paar Sekunden hätte ich mich schlagen können, für ein paar Sekunden schien mich der Lebensverdruss zermalmen zu wollen. Marc lief zur Mama und fragte, ob sie auch mitkäme zum Kindergarten. Betty verneinte und sagte, sie sei ein bisschen krank, das sei aber nicht schlimm. Und nun schnell zum Papa, er hilft dir beim Anziehen, das Frühstück wartet nicht auf euch, das wollten wir doch sicher nicht verpassen. Marc zögerte, er schaute irritiert. Ich sah das zum ersten Mal. Ich sah, wie er uns beide ansah, er hielt inne, wie er nie innegehalten hatte, als ahne er das Unglück, das Unglück unserer Trennung. Marc wusste nicht, dass er bereits mitten im Unglück lebte, die unsere Wut für ihn war, wie die bösen, lauten Auseinandersetzungen ohne Rücksicht auf ihn. Ich schämte mich. Ich drohte zu ersaufen in dem Gefühl, alles wieder gut machen zu müssen, ohne zu wissen, was genau und wie genau. Die Liebe, die mich anflog, verscheuchte ich und gab mir einen harten Ruck.

Meinen Kinderdienst überstand ich besser als erwartet, die Zeit verging, auch weil wir gemeinsam einen Spaziergang im naheliegenden Wäldchen machten und alle den ersten warmen Frühfrühlingstag genossen. Auch die Kinder aus der Nachbargruppe waren dabei, damit die Dreijährigen, die noch zur Gruppe der Kleinen gehörten, sich an die Großen gewöhnen könnten. Ich sah mit Erleichterung, dass Marc, der im Sommer ins Haus nebenan wechseln würde, sich gut mit den Großen verstand. Marc hatte sich zwei Jungen angeschlossen, sie sammelten Stöcke und Äste. Nach dem Kinderdienst sollte ich Marc zu Bettys Eltern bringen, die ganz vernarrt in unseren Kleinen waren, auch wenn Bettys Vater nicht wahrhaben wollte, dass ich der Vater war. Mit Bettys Vater lag ich ständig wie in einer kratzigen Wolle. Er war so ein verdummter CDUler, wie ich verächtlich dachte, und das als einfacher Arbeiter! Der er gewesen war. In seinem letzten Betrieb wurde er wegen eines körperlichen Leidens degradiert und am Ende ekelte man in die Frührente. Er trug das imaginäre Parteiabzeichen der CDU wie einen Schild. Seine Partei sei das einzig wahre Bollwerk gegen den Kommunismus und die Sozis verkappte Kommunisten. Er verachtete Brand für seinen Kniefall und behauptete, damit hätten die Sozis den Russen einen Gefallen getan, während Schmidt und sein Doppelbeschluss kaum zur Abschreckung tauge. Ich fragte mich oft, warum ich mit einem Wahnsinnigen stritt, der von Politik soviel Ahnung habe, wie Franz Josef Strauß von Demokratie wagen. Mein Argumente gegen die Aufrüstung, tat er als naiv ab und wenn er nicht weiter wusste, kam seine politische Hauptforderung, ich und all die Sozis und Kommunisten sollten nach drüben gehen. Dabei half es mir und ihm nicht, wenn ich beteuerte, dass es Drüben auch Scheisse sei, dass in der DDR sogar auf Arbeiter geschossen worden war. Es war ein Versuch der Annäherung, aber er nahm mir das nicht ab. Er war resistent gegen historisches Wissen und ich begriff nicht, warum. Bettys Mutter verdrückte sich in solchen Situationen in die Küche. Sie konnte Streit nicht ertragen. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten. Einmal rief sie aus der Küche, wir sollten endlich aufhören, sonst verliesse sie die Wohnung. Betty hielt sich meistens ganz raus. Es schien sie kalt zu lassen. Was Vorteile hatte für den eigenen Frieden. Die Vorteile konnte und wollte ich nicht sehen. An diesem Tag nahm ich mir vor, jeden Kommentar von Marcs Opa zu ignorieren und mich schnell zu verziehen. Marc war gerne bei Opa und Oma. Selbst Opa wurde versöhnlich, wenn er den kleinen Racker sah. Manchmal setzte er Marc auf seinen Schoß, um ihm CB-Funk zu zeigen. Aber Marc war das nicht geheuer, er weigerte sich, ins Mikrophon zu sprechen. Marc windete sich von Opas Schoß, als er die Geräusche des Äthers hörte. Ich achtete mit Argusaugen darauf, dass Opa ihn gleich gehen ließ.

Nach meiner Pflichterfüllung hatte ich große Lust, in die Buchhandlung zu gehen, erinnerte mich aber an den Videorekorder und an mein eigenes Versprechen, ausziehen zu wollen. Der Auszug beschäftigte mich länger als erwartet, das sah ich daran, dass ich mich nur noch selten in die Erkenntnis und Befreiung verheißende, in die wärmende Welt der Buchhandlungen begab. Auch an diesem Tag verzichtete ich auf das wohltuende Selbstvergessen und beschloß, nach Hause zu gehen. Betty gegenüber hatte ich angekündigt, dass ich danach zur Uni wolle. Zum Abschluss des Wintersemesters wollte ich meinen einzigen Semesterschein abholen, den ich in einem Mittelalter-Seminar gemacht hatte. Die anderen fünf geforderten Scheine würde ich mir für das vierte Semester aufbewahren, was ich nie so geplant hatte. Aber Motivation würde ich genug haben, dafür würde das Bafög-Amt sorgen. Das Amt verlangte den Abschluss des Grundstudiums in 4 Semestern. Auf das Bafög wollte ich nicht verzichten, auch wenn es mir unangenehm war, deshalb meinen Vater behelligen zu müssen. Als ewiger Hilfsarbeiter schuftete er sich im ewigen Akkord kaputt, um ewige Schulden zu mindern. Mein Vater war abweisend und schweigsam, wenn ich mit den Formularen ankam, damit er mit meiner Hilfe die richtigen Zahlen seines Verdienstes eintragen konnte. Einmal hatte er gesagt, diese Studiererei bringe nichts, in einem Ton, der mich ärgerte, denn er sagte zwischen den Zeilen, dass ich ein Versager sei, der nichts zu Ende machen werde. Mein Abitur zählte für meine Eltern nicht. Ich erinnere mich gut daran, wie sie reagierten, als ich ihnen erzählte, dass ich mein Abitur mit sehr guter Abschlussnote geschafft hatte. Ein müdes Abwinken war alles, was ich an Anerkennung bekam. Das hatte ich im Grunde erwartet, aber trotzdem versetzte es mir einen Stich, der länger nachwirkte, als ich wahrhaben wollte. Ich sagte nur herablassend, typisch für euch und verzichtete auf den lustlos angebotenen Kaffee. Sie brauchten noch einige Jahre, um ein wenig zu würdigen, dass ich meinen eigenen Weg ging und ihnen dabei niemals mehr auf der Tasche lag.

Lustlos fuhr ich mit der Straßenbahn ins universitätsnahe Einkaufsviertel, ging mit übermenschlicher Ignorationskraft an beiden Buchhandlungen vorbei, die sich aus gegenüberliegenden Gebäuden belauerten. Zugegeben, mir half auch die Realität in meinem zerfledderten Portemonnaie, in der es dunkelblank war. Es reichte grad für die Einkäufe beim Discounter, die ich zu erledigen hatte. Es war Ende des Monats. Meistens war ich bereits eine Woche vorher blank, das hatte ich von meinen Eltern geerbt. Auch das Anpumpen hatte ich von meinen Eltern geerbt. Allein Betty blieb in letzter Zeit knallhart, was ich knallhart mit Verantwortungsverweigerung und beleidigten Rückzügen quittierte. Ich betrat den Discounter, der voll war mit Studentenvolk. Beim Warten an der Kasse rechnete ich mir aus, wieviel ich für Lebensmittel brauchen würde, wenn ich allein leben würde. Es würde reichen, ich bräuchte ja nicht viel. Ich verließ den Discounter und beschloss, die Uni zu schwänzen. In einer mir nicht zu ergründenden Unruhe ging ich zu Fuss nach Hause. Ich fragte mich, was Betty trieb und ermahnte mich, sie über meine Pläne aufzuklären, obwohl ich spürte, dass ich dazu noch nicht in der Lage war. Aber es konnte nicht schaden, mir das beharrlich einzureden. Ich ging zwischen verdreckten, sechs- bis achtstöckigen Häusern und an gerupften Grünanlagen vorbei und fragte mich, ob ich hier eine Wohngemeinschaft finden könne, ob ich überhaupt eine Wohnung finden würde. Die Unschlüssigkeit, die Zweifel und die Frage, wann ich endlich ausziehen würde, sollten sich an diesem Tag noch in Luft auflösen.

32

Das ungute Gefühl, mit dem ich die breite Haustür des Sechsstöckers aufschloss, verschwand augenblicklich, als ich Dr. Schneyder vor dem Aufzug warten sah. Ich kam mir vor wie ein offenes Buch, in das der Doktor der Mediävistik mein schlechtes Gewissen und mein Versagen als Mensch und Vater lesen könne. Ich grüßte unbeholfen, Dr. Schneyder lächelte. Ich schaute verlegen auf den Boden. Er fragte mich freundlich, ob ich mit nach oben wolle. Ich war nahe daran, die Treppe zu nehmen, aber ich fuhr mit. Ich fürchtete unangenehmes Schweigen. Ich dachte an die beiden Hausarbeiten, die ich bei ihm geschrieben hatte und die er mit lobenden Worten und mit besten Noten bewertete. So fing mein erstes Semester gut an und ich verlor auf Anhieb zwei Tonnen Zweifel daran, ob ich das Studium überhaupt schaffen könne. Zum peinlichen Schweigen kam es nicht. Er fragte, wie es im Studium liefe. Ich sagte, gut und fand das zu wenig. Zugleich hoffte ich, dass er das lautstarke Theater zwischen Betty und mir aus dem vierten Stock nie gehört habe. Bis zum sechsten Stock würde unser Geschrei doch nicht gedrungen sein! Kurz bevor die Aufzugtür sich öffnete, antwortete ich auf eine Bemerkung von Dr. Schneyder mit einer Belanglosigkeit. Daraufhin durchdrang mich ein gewalttätiges Gefühl; ich war überzeugt, einen grammatischen Fall falsch benutzt zu haben, so wie ich ihn in meiner sozialen Klasse verinnerlicht hatte. Meine sprachliche Behinderung schien mir durchschaut, das Stigma war auf ewig vergeben. Eilig verabschiedete ich mich, dabei wandte ich mein Gesicht ab, da ich überzeugt war, ganz rot geworden zu sein. Schnell nahm ich die Treppe zur Wohnungstür und schaute mich nicht mehr um. Ich hörte, wie die Aufzugstür sich scheppernd schloss und blieb wie angewurzelt vor meiner Wohnungstür stehen. Da war sie, die Miststückangst, die mich lange nicht mehr so unerwartet in den Boden gerammt hatte. Eine Feuerwalze war im Aufzug über mein Gesicht gelaufen. Schamangst! Schlimme Schamangst war das mit einem ihrer fiesen Spiele. Sie war der mächtigste Bezirk meiner Angststadt, die mir fast zur Metropole wurde, gebaut auf den zahlreichen Grundstücken der Beschämung. Lange habe ich sie unterschätzt, nicht wahrgenommen als solche, als Scham und Angst vor Scham. Im Vergleich zu anderen Leidgefühlen tarnt sie sich perfekt. Sie stieß mich weg von der Liebe, die ich dringend brauchte. Sie brannte nieder, was mich stark, froh und zuversichtlich machte. Sie machte mich einsam. Tausend Augen (mindestens) schauten dann auf mich. Sie verachteten und verstießen mich. Ich schämte mich nicht allein für moralische Überschreitungen. Ich schämte mich, auf der Welt zu sein. Ich wünschte mir, nie geboren zu sein, ohne das zu wissen. Woher kam sie, wie entstand sie? War es die Ohrfeige vor versammelter Familie, die hart mein Gesicht traf? War es die Ausgrenzung am Heiligen Abend, den ich im kalten, dunklen Schlafzimmer verbringen musste, weil das mir versprochene Geschenk der Bruder bekommen und ich meines in die Ecke geworfen hatte? War das mein Vater, der einen anderen Jungen für seine Schlagfertigkeit lobte, mich aber nie. War das der Schlag in den Rücken meines Bruders, den ich tat mit einem Ast? Er hatte nach Luft gerungen und ich blieb zurück im Schamtaumel. Sie brennt, sie quält, wenigstens das steht fest. –

Mein Bruder. Thomas. Warum tut er mir gerade jetzt zum ersten Mal leid, ohne beschämt zu sein. Wir haben in den letzten zehn Jahren keine zehn Wörter gewechselt. Von Nähe kann keine Rede sein. Als kleiner Junge war Thomas einmal in der Quarantäne im Krankenhaus. Er konnte uns durch eine Scheibe sehen. Als wir gehen wollten, drückte er verzweifelt sein nasses Gesicht an die Scheibe wie ein kleiner Frosch in einer feuchten Glasschüssel. Meine Mutter und ihre Mutter bemitleideten ihn. Thomas war ihr Lieblingskind. Seine Tränen, seine süßen schwarzen Locken, die großen Augen, die verzweifelt einen Weg aus der Glasschüssel suchten; die kleinen, noch pummeligen Hände, die an der Scheibe rauf und runter rutschten. Ich spürte ihr Mitleid für meinen Bruder. Ich hasste meinen Bruder für das Wenige an Liebe, das er bekam. Nichts davon blieb für mich übrig. Ich fand mich in Neid und Sehnsucht verloren und erstickte darin wie in einer über mich gekommenen Lawine. Versuchte ich auf mich aufmerksam zu machen? Beschwerte ich mich oder wollte etwas haben, was er geschenkt bekommen hatte, mehr als wir Kinder sonst geschenkt bekamen? Schemen tauchen auf in meinem Kopf: Wurde ich ausgeschimpft, wurde ich grob aus dem Besuchszimmer gezerrt, hörte ich böse Worte über einen bösen Jungen, der es nicht wert ist, beachtet zu werden? Die Kälte der Männer fällt mir jetzt ein, die Männer, mein Vater, mein Onkel (ja, der), der Stiefopa. Ich würde wetten, dass sie einen Frühschoppen intus hatten, ich höre ihr Lachen, eingeleitet von verächtlichen Worten. Dieses Blag müsse sich immer vordrängeln. Selbst dem kranken Bruder gönne er nichts. Missratender Junge! Man schämt sich für ihn. Hätten wir ihn doch nicht mitgenommen! Warte ab, zu Hause! Du gibst jetzt Ruhe sofort! Ich sah die Fremden, die zugehört hatten und schämte mich.

Was ist das wieder für ein zielloses Sackhüpfen in meinem Hirn? Mit meinem Bruder Thomas habe ich gar nicht mehr gerechnet. Er scheint eine größere Rolle in meinem ganz frühen Leben gespielt zu haben, als mir bis heute bewusst war. Schamangst. Wie ich sie unterschätzt, verharmlost, nicht wahrhaben wollte. In frühen Jahren gründlich gelegt, in ihrer Macht über 20 Jahre später ungebrochen, wie ich im Aufzug mit Dr. Schneyder als kongenialen Triggerpartner zu spüren bekam. Damals stand ich also wie angewurzelt vor der Wohnungstür und hörte Dr. Schneyder aus dem Aufzug steigen. Dann fummelte ich nervös den Schlüssel ins Schloss und wurde gleich vom nächsten Schlag getroffen.

Im Esszimmer sass Betty gut gelaunt, ein Fuss auf dem Wippstuhl, das Knie nahe am Kinn. Sie sass nicht allein. Ihr Gegenüber staunte mich ein junger Mann an. Schwarzes, dichtgewelltes Haar, Bronzehaut und dunkle Augen. Betty setzte ihren Fuss ab und fragte beiläufig, ob die Uni ausgefallen sei. Ausgefallen? sagte ich, während der Typ aufstand und sich schüchtern mit Driss vorstellte. Unschlüssig zuckte er mit dem Arm, während ich in der Tür stand und keinen weiteren Schritt mehr tat. Ich wusste, dass das ihr Neuer war. Ein paar Jahre jünger als ich, ein schöner Mann, der wie ich zu wenig Mama bekommen hatte und sich wie ich in eine sorgende Frau verliebt hatte, die ihre Sicherheit aus der Unbeholfenheit des Partners schöpfte. Ich riss mich los aus meiner Erstarrung, sagte meinen Namen, als ob mich das alles nichts anging und verschwand in meinem Zimmer, wo ich voller Ungeduld darauf wartete, dass der schöne Driss verschwand.

Es dauerte nicht lange und Betty und Driss gingen fort. Ich hatte sie verhalten reden hören. Sie gingen spazieren oder ficken, dachte ich. Ich ärgerte mich, dass Betty ohne ein Wort gegangen war, als existiere ich nicht mehr. Kurz wollte ich die Tür aufreissen, um sie im hallenden Hausflur zu beschämen, indem ich die plumpsten Worte meines sozialen Erbes freien Lauf liesse. Aber der Impuls verreckte im Frust. Ich wunderte mich, dass ich nicht verzweifelt war wie sonst. Und plötzliche wollte ich nur noch Christian erreichen. Unbedingt Christian erreichen! Ich ging zum Telefon, zum Tastentelefon, dass ich durchgesetzt hatte, weil ich das Drehen nervtötend fand. Ich erreichte ihn.

Nach dem Telefonat mit Christian ging alles ziemlich schnell, so schnell, dass ich mich an wenig erinnern kann. Ich zog zu Christian. Vier Wochen hatte ich Zeit, um ein eigenes Zimmer zu finden. Christian war ja vier Wochen bei seinen Eltern. Für Betty liess ich einen Zettel da. Ich meinte es tatsächlich ernst, stellte ich fest, kurz staunte ich darüber. Später traf ich Betty. Mein Entschluss ließ sie kalt. Sie fragte nur, und Marc? Darauf war ich vorbereitet, ich hatte ihr meinen Plan auf einen Zettel geschrieben, wann ich ihn nehmen würde, wenn ich ein WG-Zimmer hätte. Schneller als erwartet, stieg der Druck, ein Zimmer zu finden. Der Vermieter hatte spitz gekriegt, dass mein Freund seine Wohnung untervermietete, ein missgünstiger Nachbar musste es ihm gesteckt haben (Geld nahm Christian keines). Aber ich hatte mal wieder mehr Glück als Verstand (ein Spruch, den ich zu meinem Lebensmotto machte). Ich fand eine Wohngemeinschaft, in der das kleinste Zimmer frei geworden war. 12 Quadratmeter. Die WG war bewohnt von drei Frauen, die ganz begeistert waren, dass ab und zu mein Sohn bei mir sein würde, worüber ich mich wunderte. Bei der Wohnungsbesichtigung stieß mich nur die Küche etwas ab, denn so einen versifften Kochschlauch hatte ich noch nie gesehen. Vor allem der Schimmelpelz des Abfalleimers hatte es mir angetan. Ich machte gute Miene zum bösen Ekel, versprach zuverlässige Verrichtung der Dienste und sofortige Begleichung der ersten Miete in bar, müsse aber zuvor noch meinen Antrag bei der ASTA einreichen. Mir fielen trotz der Küche und des Minizimmers zehn Pflastersteine vom Herzen und erst später begriff ich den gutgemeinten Witz des Schicksals, denn mein neues Zimmer lag fast mittig zwischen Bettys Wohnung und der Kinderwerkstatt.

Ich konnte bereits nach knapp drei Wochen aus Christians Wohnung ausziehen. Als er zurück war, lieh er mir seinen Strich-Achter mit sensationellen 55 PS, die jede Auffahrt auf die Autobahn zu einem Abenteuer machte. Mit dem Auto zog ich an den Vormittagen um, wenn Marc in der Kinderwerk und Betty arbeiten war. In Eile und mit Wutanfällen quetschte ich die überfüllten Bücherkisten aus Pappe auf die Sitze und frage mich, wie ich die langen Querstreben meines Bücherregals aus Fichtenholz in das Auto bekommen sollte. Aber da ich nicht einmal einen Kilometer zu fahren hatte, riskierte ich eine aus der Not geborene Technik. Ich ließ die Regalstreben aus dem Fenster des Beifahrers überstehen, während ich die anderen Enden aus dem Fenster hinter dem Beifahrersitz auf einen halben Meter dem Fahrtwind überliess. Glücklicherweise waren die Ein- und Ausfahrten zu den Parkplätzen der Häuser großzügig bemessen.

So war ich ausgezogen und blieb auch ausgezogen, aber mit Betty war es noch nicht vorbei. Ich wollte sie vergessen und hätte sie nie wieder sehen wollen, aber das ging nicht. Ich war auch für Marc verantwortlich. Dass ich ihn nicht im Stich lassen könne, war mir bereits vor meinem Umzug bewusst gewesen. Aber schmerzlich bewusst wurde mir das erst, als ich Marc das erste Mal abholte, um ihn zur Kinderwerk zu bringen und meinen Kinderdienst zu machen. An der Wohnungstür kam er mir entgegen und ich hob ihn hoch und küsste ihn auf die Backe. Ich trat ein, setzte ihn ab und fragte nach der Jacke und der Mütze, ohne Betty anzuschauen. Ich spürte, wie Lust auf Betty in mir hochkam und lenkte mich mit Marc ab. Ich war erleichtert, dass er keine Fragen stellte. Er hatte mich mindestens zwei Wochen nicht gesehen. Während des Kinderdienstes verhielt er sich wie immer, wogegen ich mich hundeelend fühlte mit einem Druck auf Brust, der mich noch lange quälen sollte. Zugleich rotierte mein müder Kopf um die Frage, wie ich Marc die neue Situation deutlich machen könne. Nur mit Widerwillen gestand ich mir ein, das Bettys Vorschlag richtig war, zusammen mit Marc die neue Situation zu besprechen. Zumindest müsse er wissen, dass ich ausgezogen war. Mir wurde dabei widerwillig bewusst, dass mein Umzug für Betty völlig in Ordnung war. Sie machte keinerlei Anstalten, mich zurückzuholen, was mich eine Zeit uneingestanden kränkte und nach einigen Monaten der trotzigen Einsicht wich, dass es keinen anderen Weg mehr gibt, als meinen eigenen zu gehen und endlich unabhängig von Betty zu werden. Nach der Kinderwerk vertrieb ich mir die Zeit mit Marc im Einkaufscenter und auf dem Spielplatz im Wald. Betty käme erst um 16 Uhr von der Arbeit und je näher der Zeitpunkt kam, umso weniger Lust und Willen hatte ich, das Gespräch zu suchen. Ich würde eine Ausrede finden. Ich ahnte nicht, dass ich die gar nicht brauchen würde.

Als ich Marc zurückbrachte, zog ich ihm die Jacke aus und wollte mich verabschieden. Marc aber bestand darauf, dass ich in sein Zimmer käme. Ich folgte ihm. Er zeigte mir seinen großen Müllwagen. Ich kniete mich hin und fuhr eine Runde damit. Marc nahm ihn mir weg und zeigte mir, wie man die Ladefläche kippte. Als ich das Kinderzimmer verlassen wollte, hielt er mich fest und sagte, dass ich nicht gehen solle. Marc wies auf die Ecke mit den bunten Holzbausteinen. Baust Du wieder Turm, sagte er. Ich gab keine Antwort, sondern nahm ihn mit Schwung auf den Arm, kitzelte ihn und trug ihn ohne Proteste ins Esszimmer. Als ich Betty sagte, lass uns ein anderes Mal reden, jetzt hätte ich keine Zeit, umarmte Marc mich feste am Hals und sagte zur Mama, Papi solle hierbleiben. Ich erwiderte, schau mal, da die Mama, geh mal zur Mama, ich muss jetzt gehen, aber ich werde ganz bestimmt wiederkommen. Entschieden befreite ich mich aus seinem Griff und stellte ihn gegen seinen Willen ab. Als Betty ihn auf dem Arm nehmen wollte, schrie er und hielt sich an meinem Bein fest. Halt ihn doch fest, zischte ich zu Betty und sie nahm Marc gegen seinen Willen von mir fort. Aber ich konnte nicht so einfach gehen, ging in die Knie und liess Marc noch einen Moment in meine Arme kommen. Er weinte und sagte, Papi soll bleiben. Ich fühlte mich wie ein Verräter und war nicht in der Lage, Marc zu trösten. Ich wiederholte nur steif, dass ich bald wiederkommen würde. Dann verlor ich die Geduld. Ich drückte Marc grob in Bettys Arm, ging zur Haustür und zog sie hart hinter mir zu. Ich hörte sein Schreien und Weinen, schnell lief ich die Treppen herunter.

© März 2023 by Wandelkern   Lesermail

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