Angst 1983
1983. Urlaub in Großbritannien, gefahren bis nach Betty Beach, zum letzten Ort im schottischen Norden. Ich war zusammen mit meiner ersten Liebe, ich nenne sie Betty, das passt gut. Betty war acht Jahre älter als ich, etabliert im Beruf und szenebekannt. Ich war Punk, ein politischer Punk ohne Attitüden, unfreiwillig mittellos und mit vielen Ideen im Kopf. Lesen wollte ich, viel verstehen wollte ich, vor allem auch heraus aus dem schwarzweissen Denken, das mir knapp anderthalb Jahre lang stalinistische Sektierer eingetrichtert hatten, bis ich die WG und gerade erst gegründete Partei verließ. Danach denunzierten mich die zwei aus Süddeutschland abgestellten Funktionäre als Spitzel des Verfassungsschutzes, weil ich meinen jüngeren Bruder, den ich agitiert hatte, eindringlich vor den gemütlichen Küchen warnte, in denen bei Tee, Kaffee und Bier die Hirne junger Menschen gewaschen wurden. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich wollte produktive Arbeitslosigkeit leben, so nannte ich mein neues Leben nach der Kündigung bei einem Autokonzern, der mich gerne behalten hätte, so gut verstand ich die Akkordarbeit zu nehmen, vom Rohbau bis zur Fertigmontage, am Fliessband oder an riesigen Maschinen, die zu stumpfsinniger Arbeit zwangen. Doch die drei Jahre auf Staatskosten sollten einerseits zum Desaster werden und mich andererseits zum Nachmachen des Abiturs führen, begleitet von einer Entscheidung für ein Kind, die in den Tagen euphorischer Selbstüberschätzung gefallen war. Doch ich greife vor.
Bevor ich die von Familie und Co prophezeite Gasse überhaupt erreichte, lernte ich Betty kennen. In der Zeit wohnte ich bei meinem Bruder Ludger und schlief auf der Couch. Das Arbeitslosengeld war zwei Monate gesperrt, weil ich zweimal hintereinander gekündigt hatte, darunter auch eine Ausbildung als Elektromaschinenbauer, die mir als zweite Chance verkauft worden war. Jedenfalls schlug ich mich mit dem gesammelten Münzgeld aus besseren Zeiten durch, war viel zu Fuß und als Schwarzfahrer unterwegs. Betty traf ich in der einzigen Szenekneipen weit und breit, Rottenstube gerufen, in der zu später Stunde ein paar Punksongs aufgelegt wurden, sonst hätte ich den weiten Weg von einem zum anderen Ende der Stadt sicher nicht in Kauf genommen.
Ich habe keine Ahnung mehr, wie ich oft Betty in der Rottenstube traf, aber sie nahm mich einige Male in ihrem Auto mit. Sie wohnte in der Innenstadt, so dass mein Fussweg nach Hause nicht mehr so weit war, wenn sie mich mit einem Lächeln aussteigen ließ. Unterwegs hatten wir gute Gespräche, die schnell vertraulicher wurden. Unerwartet fragte sie mich eines Morgens, ob ich noch mit hochkommen wolle, sie ginge eh noch nicht ins Bett, sie sei nach dem Tanzen zu aufgedreht und trinke noch einen Tee. Ich folgte ihr schüchtern durch einen großen Hausflur mit knarrenden Treppen und braunlackierten Geländern. Wir saßen eine ganze Weile in ihrem Wohnzimmer und ich genoss mit einem wohltuenden Gefühl des Vertrauens ihr aufmerksames Zuhören. Es war sicher schon drei Uhr Morgens und wir waren hellwach. Ich erzählte weiter über mein Leben als schwarzes Schaf der Familie. Ich erklärte ihr meine Pläne als produktiver Arbeitsloser, der sich weiterbilden wolle, wenn er erst einmal eine Wohnung habe; die Arbeitslosenkohle fliesse ja bald wieder. Sie sagte, dass ihre Eltern auch aus der Arbeiterschicht kämen und dass ihr Vater sich hochgearbeitet habe, um dann umso tiefer zu fallen, weil er einen Arbeitsunfall gehabt hatte, der ihn im Betrieb auf die unterste Stufe zurückwarf, worunter er bis zur Frühverrentung und danach noch gelitten habe. Betty vertiefte das Thema nicht. Stattdessen lobte sie meine Ambitionen. Sie fände mich bewundernswert. Solche Menschen wie mich treffe man eher selten. Ich wurde verlegen. Ich kam mir wie ein Glückspilz vor, der nicht wusste, wie ihm geschah: Eine gestandene Kunsthistorikerin mit fester Anstellung bei der Stadt interessierte sich für mich. Das war ein Wunder. Als sie mich nach kurzem Schweigen fragte, ob ich bei ihr pennen wolle, hüpfte mein Herz und schüchterne Lust durchrieselte mich, die ich nicht zu zeigen wagte. Ich nickte verlegen und Betty lächelte. Sie ging ins Bad. Unsicher stand ich in ihrem Zimmer. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich sah nur ein Bett, ein sehr großes Bett. Also schloss ich klug und mutig das Naheliegende und zog meine Hose aus. Ich wollte mich gerade aufs Bett setzen (ich kam mir verdammt blöd vor, allein bei dem Gedanken), als Betty in einem langen T-Shirt aus dem Bad kam. Ich sah ihre Brustwarzen durchschimmern und ihr schwingender Busen erregte mich. Ich ging noch schnell ins Bad. Als ich zurück kam, sagte sie, ich könne mich zu ihr unter die Decke legen, wenn ich möge. Im Bett umarmten und küssten wir uns. Ich spürte ihre Erregung, ich streichelte ihre Brust und sie zog mich zu sich. Sie stöhnte. Ich stöhnte mit, aber ich war zu aufgeregt und mein unschlüssiger Lümmel verlor den Mut. Zerknirscht gab ich zu, dass ich grad nicht könne. Betty lächelte. Nichts dränge uns, das sei nicht schlimm, das sei ihr sympathisch. Wir lagen nebeneinander und ich entspannte mich. Wir wechselten noch ein paar Worte. Ich sagte, dass ich mich sehr wohl fühle bei ihr. Das spüre und geniesse sie. Erneut streichelten und küssten wir uns. Mein Kopf leerte sich und dann klappte der Sex. Zum ersten Mal schlief ich mit einer Frau, die sich mir lustvoll hingab und mich damit auf eine neue Art erregte. Es folgte ein Lusterlebnis, das sich mir einprägte, so als würde die Befriedigung nur noch mit ihr möglich sein, mit einer neuartigen Lust, die ungeahnt intensiv, ja geradezu zwingend werden sollte. Danach schlief Betty bis zum späten Vormittag und ich lag in Dämmerzustand neben ihr, gespannt, wie sie nach dem Aufwachen sein würde. Ich wurde nicht enttäuscht.
Ich blieb mit Betty im Kontakt, eine Eintagsfliege durfte das nicht werden, dafür war der Sex zu gut und die Gespräche manchmal bewegend und oft ironisch (ich wusste bis dahin gar nicht, dass ich zur Ironie fähig bin). Wir lachten viel. Wir schrieben uns lustige Briefe mit gebastelten Briefumschlägen, die ich eingeführt hatte, als ich plötzlich Basteldrang verspürte mit lauter witzigen Ideen. Wir foppten und neckten uns und nahmen die Lebensweisen des anderen auf die Schippe. Als ich schneller als erwartet eine Wohnung fand, kam sie anfangs mindestens einmal in der Woche zu mir und wir schliefen miteinander. Einmal lieh sie mir auch Geld. Ich hatte mir etwas zu viel Shit gekauft und stellte fest, dass ich nicht mehr genügend Geld für den Monat hatte, um die anstehende Rate für meine Schreibmaschine zu begleichen, meine kleine, rote, elektrische Olympia Monica, auf der ich Realsatiren über Punks, Autonome und Spießer schrieb.
Im Laufe der Zeit ließ sich Betty immer weniger bei mir sehen und mir was das recht so. Im Sommer machte sie zwei Wochen Urlaub in Südfrankreich. Ich weiss nicht mehr genau, wie lange sie schon weg war, als ich begann, sie zu vermissen. Ich wurde unruhig. Mich überfiel eine Lust, die süß und bitter, kribbelnd und pulsierend über mich kam, eine Lust, die auch Sehnsucht war, eine ferne Sehnsucht, die ich ganz auf Betty übertrug. Mir fiel ein, dass wir uns für den kommenden Samstag in der Rottenstube verabredet hatten. Sie würde zum Tanzen herüberkommen. Betty wohnte seit kurzer Zeit in einer neuen Wohnung mit Balkon. Praktischerweise ganz in der Nähe der Rottenstube. Sie teilte sie mit einer Freundin aus Kindheitstagen, mit der sie jetzt auch zusammen im Urlaub war. Ich nahm ein Blatt Papier und schrieb ihr einen Brief mit der Hand. Ich schrieb, dass ich sie vermissen würden und dass ich kaum erwarten könne, sie wiederzusehen. Gerne würde ich schon Freitag zu ihr kommen, schließlich stände ja noch die erste Übernachtung in ihrer neuen Wohnung aus. Zuletzt schrieb ich noch ironische Sprüche und Anspielungen auf den Umschlag und warf ihn in den Briefkasten. Danach onanierte ich und kam schnell. Die Lust auf Betty war wieder erträglich. Ich ahnte nicht, dass mich eine böse Überraschung erwartete, die mich auf eine ganz neue Art aus der Bahn werfen würde.
Am Freitag rief ich Betty voller Hoffnung aus einer Telefonzelle an und erreichte sie nicht. Gedankenschwer gab ich es nach vier Versuchen mit kleinen Pausen dazwischen auf. Als ich dann am Samstag in der Rottenstube auf Betty wartete, war ich voller Ungeduld, die in eine böse Ahnung mündete, je später der Abend wurde. Ich ging einige Male betont unauffällig vom Discoraum zum Eingang und schaute in die Richtung, aus der ich Betty erwartete. Ich dachte darüber nach, einfach zu ihr zu gehen, aber ich traute mich nicht, was ich wie immer als Feigheit auslegte. Das ungeduldige, gespannte Entgegengehen deutete ich auch als Schwäche, die mir nicht eingestehen wollte. So ein Verhalten wäre schließlich nicht souverän — Souverän sein! Eine Wendung, die oft zwischen Anspruch und Ermahnung in meinem Kopf pendelte. Wie ein herrischer Zeigefinger wies der mächtige Selbstanspruch mich auf meine Unfähigkeiten hin, lange bevor Optimierungsadepten anfingen, mit dem Anspruch zur Perfektion Kasse zu machen. Souverän sein, souverän reagieren, souverän wirken, selbst wenn die Welt kurz vor dem Untergang steht — oder als kleinere Nummer: Selbst wenn Mitmenschen zum Ärgernis werden, was sie nicht selten tun. Das Problem war nur, dass mein Souveränitsverlangen bereits an den kleinsten Zumutungen des Alltags scheiterte. Dass Souveränität auch ein anderes Wort für Gleichgültigkeit oder Abstumpfung sein kann und im harmlosesten Fall als naives Hirngespinst das eigene Leben erschwert, begann ich nur langsam zu ahnen. So langsam, dass sich zwischen dem Ahnen und der Erkenntnis noch viele Jahre legten. Dazwischen bescheinigte ich mir bei jder Gelegenheit Unfähigkeit, die nicht selten mein Gemüt mit Selbsthass verdunkelte.
Mitten im Trubel eines vergnügungssüchtigen Treibens rang ich also um Fassung. Als Bettys Freundin kam, hielt ich es nicht mehr aus und ging ihr erwartungsvoll entgegen. Bevor ich fragen konnte, teilte sie mir mit, das Betty müde sei und heute nicht käme. Sie richte mir schöne Grüße aus. Die Freundin sah mich kurz an, schien in Eile. Ich fragte, ob Betty sonst nichts gesagt habe. Sie verneinte und verschwand durch eine qualmende Menschengruppe, zügig die vier Treppenstufen nehmend, im Loch der Rottenstube. Jetzt hielt mich nichts mehr. Ich eilte bis zur Wohnungstür und starrte kurzatmig die ordentlich und sauber gereihten Klingen an. Ich las ihren Namen. Ich zögerte, ich spürte Druck auf der Brust. Als ich endlich auf die Schelle drückte, pochte mir das Herz bis zum Hals. Ich lehnte mich gebannt gegen die Tür. Gleich wäre ich befreit von süchtiger, sehnender, quälender Lust, gleich werde ich erleichtert in ihren Armen liegen und mit ihr schlafen. Doch jede weitere Sekunde des Wartens nährte den bösen Zweifel. Krampfig drückte ich ein weiteres Mal auf den eckigen Plastikknopf. Endlich ging der Summer.
Sie war abweisend. Meine Umarmung ließ sie über sich ergehen, einen Kuss verweigerte sie mir. Was denn los sei? Bitte! Warum sie nicht gekommen sei? Bitte! Betty ging in ihr Wohnschlafzimmer. Sie war guter Laune und schien mir gar nicht müde. In aller Ruhe packte sie die Reisetasche. Ich spürte eine leise Vorfreude bei Ihr, die ganz weit weg von mir war. Wie nebenbei sagte Betty, sie habe sich in einen Südfranzosen verliebt. Sie fliege gleich morgen zurück. Sie habe noch eine Woche Urlaub. Ich begriff nicht, was sie sagte. Ich ging auf sie zu und legte meine Hand auf ihre Schulter. Sie drehte sich um und lächelte verzogen. Ob ich denn noch nicht einmal einen Kuss bekäme. Sie gab mir einen beiläufig auf die Backe, ohne mich anzuschauen. Es täte ihr leid, aber der Flieger ginge morgen schon früh. Ich hoffte hartnäckig, dass sie mich gleich wieder begehren würde und fragte, ob ich bleiben könne, Rottenstube ginge jetzt gar nicht mehr. Ihr passe das nicht wirklich, sie müsse wirklich schlafen. Aber wenn es nicht anders ginge, könne ich bleiben, aber laufen würde nichts heute Nacht, das müsse mir klar sein.
Im Bett lag ich neben ihr, unter einer eigenen Decke. Sie lag auf dem Rücken, gähnte und sagte trocken, gute Nacht. Dann drehte sie sich um. Ich legte hoffend eine Hand auf ihre Schulter und wartete. Ich hoffte mich dumm und dämlich. Es war doch immer so einfach gewesen. Sie drehte sich um, küsste mich zärtlich und zeigte mir ihren nackten Busen. Ich streichelte und küsste ihn und schnell kamen wir zur Sache. Nichts dergleichen geschah. Ich hörte, dass Betty kurz vor dem Einschlafen war. Ich flüsterte, dass ich nicht schlafen könne. Ich bat sie, sich wenigstens umzudrehen und in meine Arme zu kommen, damit mir ein wenig leichter würde. Ich fragte sie, ob sie denn unbedingt fahre müsse, ob sie nicht bleiben könne, mir zu liebe. Betty bat mich, es doch einfach zu akzeptieren und fügte gähnend hinzu, dass sie jetzt wirklich schlafen müsse. Ich verstummte, wartete, wimmerte. Gerne hätte ich einfach nur geweint. Aber ich konnte nicht einfach weinen. Die Traurigkeit blieb immer in einem selbstmitleidigen Schluchzen stecken. Ich sah mich da liegen wie einer, der kriecht. Eine Wut machte sich breit und sie ließ sich nicht mehr mit Hoffnungsgedanken beruhigen. Mit einem Ruck stand ich auf, zog mich schluchzend, fluchend und laut an. Noch bis zum Zuschnappen der Haustür hatte ich die Hoffnung, sie würde es sich anders überlegen und mich zu sich ziehen. Aber sie schlief schon, was ich als einen weiteren Schlag direkt ins Gesicht empfand.
Kilometer um Kilometer ging und rannte ich durch die leeren Straßen. Ich heulte den nassen Asphalt an, die trostlosen Laternen, das parkende Blech in verwaschenen Tönen, die Fassaden mit dunklen, kleinen Fenstern. Einmal schrie ich und beherrschte mich gleich wieder. Ich phantasierte mir Szenen herbei, in denen ich Betty weh täte, indem ich sie im Stich und auflaufen liesse, indem ich sie verlassen und betteln lassen würde. Aber das half mir nicht, das war kein Trost. Ich war einem niemals zu beruhigenden Druck auf der Brust ausgeliefert. Ich hatte keinen Schimmer, woher der kam, was er bedeutete, wie ich ihn loswerden könnte. Kilometer um Kilometer lief ich durch die verlassenen Straßen. Als ich endlich vor meiner Haustür stand, hatte ich die Ohnmacht und Verzweiflung erschöpft gelaufen. Amselgesang hallte. Als ich kurze Zeit später die heißgerauchte Wasserpfeife weglegte, fühlte ich mich wie eine Amöbe und schlief endlich ein.
Jedes Mittel war mir von nun an recht, um den beissenden Druck in der Brust zu lindern. Ich hatte nicht die geringste Ahnung davon, dass die Abweisung Bettys einen alten tiefen Schmerz angezündet hatte. Mir blieb nichts anderes als Betäubung.
In den Folgemonaten tickte ich in einem Polygon aus Wut, Selbstverachtung, Gleichgültigkeit, Größenwahn und Sehnsucht. Die Sehnsucht trank Schmerz und der Schmerz trank Sehnsucht und ich kiffte dagegen an. Ich zog jeden Abend harte, in der Lunge schmerzende Züge aus der Wasserpfeife, solange bis ich mich kaum mehr bewegen konnte und alle Gedanken in einem tiefen Nebel verschwanden, bis nichts mehr zu spüren war, ausser eine schwere Müdigkeit. Vormittags wachte ich mit stumpfen, gereizten Kopf auf und es reichten kleine Widrigkeiten, um mich gegen mich und die Welt aufzubringen. Dann trat ich vor dem Küchenschrank oder ging hasserfüllt irgendwelche Dinge an, die nicht so wollten, wie ich. Manchmal stand ich auch vor dem Spiegel und ohrfeigte mich für meine Dummheit und dafür, dass ich mich auf Betty eingelassen hatte. Ich erniedrigte mich mit dem Gedanken, dass sie recht tue, mich in den Wind zu schiessen, mich sausen zu lassen, mich elendes Arschloch! Die ersten Wochen nach meiner Flucht vor Bettys Abweisung verließ ich selten die Wohnung und wenn es schellte, hielt ich still und öffnete nicht. Ich wollte mich in dem Zustand nicht blicken lassen. Einkaufen ging ich hastig. Bei meinem Nachbarn Woschi besorgte ich mir ein paar Gramm Shit. Denn obligaten Joint nach der Übergabe hielt ich gut aus. Woschi redete nicht nie viel und sein Dauerbesucher Otze immer dasselbe. Er erwartete nicht, dass ich darauf einging. Danach verdrückte ich mich wieder in meine Wohnung, froh, für die nächsten Tage versorgt zu sein.
Ich lebte Monate in einem nicht enden wollenden Rausch, der mich enttröstete, der mich abstumpfte.
Einmal traf ich Löty, ein Punk, der in der besetzten Schule ganz in meiner Nähe wohnte und den ich vor kurzen auf einem Solifest für angeklagte Hausbesetzer kennenlernte. Ich kam gerade mit einer Plastiktüte voll Dosenbier, Käsescheibletten und Konserven aus einem Discounterladen heraus. Er stand vor mir in seiner Schlacksigkeit und dem schiefen Lächeln, das aus schmalem Gesicht wie von einem Turm auf mich herunterfiel. Er erzählte, dass die Halle in der City geräumt worden und dass ein Kumpel von den Bullen zusammengeschlagen worden sei. Schlagstock immer drauf auf Arme und Kopf, Tritte vor das Schienbein. Die Schule sei sicher auch bald dran, der Stadt traue er nicht über den Weg. In der Zeitung habe gestanden, dass die Chaoten angefangen hätten. Das miese Blatt habe wieder nur verletzte Bullen gezählt, hier ein Kratzer und dort einer. Kein Wort über die Gewalt der Bullen. Einer von den Besetzern sei mit Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert, auch Verhaftungen habe es gegeben. Die Pechvögel würden garantiert wegen Widerstands eingebunkert, jede Wette!
Löty sagte das ohne Wut, als hätte er es schon häufig erzählt. Seine Augen schienen weit weg, nachdem er verstummte und unruhig nach etwas zu suchen schien. Ich zischte, diese verdammten Wichser! Lass uns ma wieder auf en Bierchen treffen, sagte Löty beiläufig und ich bemerkte, dass es einfach nur ein Spruch war. Machen we mal, hab grad nich so en Bock auf unterwegs. Mich kotzt der ganze Scheiß grad an. Verstehse? Klar, sagte Löty gutmütig und für eine Sekunde überlegte ich, mich ihm anzuvertrauen. Er kannte Betty nicht und war auch wieder ganz bei seinem Hund. Er leinte ihn umständlich an ein Fallrohr an. Magrit wartet, der Kleine kann ja noch kein Bier trinken, sagte er, hob schlapp einen Arm und nickte. Ich nickte auch und fuhr mit meinem Hollandrad nach Hause.
Lötys Erzählung beschäftigte mich mehr, als ich mir eingestehen wollte. Ich sah meinen Hass auf Bullen, Staat und das Regionalblatt bestätigt und verlor mich in Gewaltphantasien. Schnell war ich wieder bei den verachtenswerten Politikern in der Regierung, die mit Kriegstreibern und Diktatoren paktierten. Und aus der Wut wurde überbordende Hilflosigkeit. Ich schien all der Macht und ihrem Zerstörungswillen ausgeliefert zu sein. Voller Wut trat in die Pedale, um mich schnell wieder in meine Höhle zu verkriechen. Ich beschloss, mir bereits am frühen Nachmittag einen kleine Dröhnung aus einer Purpfeife zu geben, was ich mir sonst verbot. Aber in diesem Tag schien mir auch die kleinste Treue zu mir selbst unmöglich.
Am nächsten Tag ging es mir etwas besser. Die Wut von gestern hatte etwas in mir geweckt, eine Art Selbstbehauptungstrotz. Ich spürte Lust, weiter an einen Text zu schreiben, deren dritte Seite in der Schreibmaschine verstaubte. Mit müden Augen überflog ich die ersten Zeilen, verlor aber gleich wieder den Mut. Hunger, dachte ich und beschloß, endlich einmal wieder in den kleinen Laden zu gehen, der buchstäblich an der Ecke am Ende des Häuserblocks lag. Ich freute mich auf Brötchen und Eier und hoffte auf neue Post. Immer mal wieder trafen in diesen Monaten Briefe und selbstgebastelte Postkarten bei mir ein. Sie waren Antworten auf meine Anzeigen in zwei Programmzeitschriften. Tatsächlich warf der Briefträger an diesem Tag einen Brief für mich ein. Er lag in einem Luftpost-Umschlag, der mit ausladender schwarzer Schrift adressiert war. Er kam von einer Unbekannten aus der Nachbarstadt. Sie schrieb:
hallo, ich bin doris. deine anzeige hat mich total neugierig gemacht. mal echt was anderes, nicht so langweilig wie die üblichen. ich bin 23, blond aber nicht blöd, wohne allein, quäle mich zur physiotherapeutin (massieren is aber was, was ich gerne tu, haha). musikmässig biste auf meiner wellenlänge. punk und dieses ganze deprizeugs, bin ich süchtig nach. ich würd dich gerne treffen, lieber morgen als übermorgen, haha. ich habe sogar telefon, geil, was! ruf mich einfach an, ich bin gespannt auf dich. warte aber nich zu lang, sonst platze ich, haha.
Ich las den Brief ziemlich oft, während ich pappige Brötchen und die Eier verschlang. Oft drehte ich ihn um, um noch etwas zu entdecken zwischen den kopierten Bildern. Auf einer Seite war eine mit Graffiti beschmierte Wand zu erkennen, auf der zweiten eine vierköpfige Gruppe, deren Gesichter im harten schwarzweiss nicht zu erkennen waren und die lässig vor einer Backsteinmauer standen. Dazwischen der mehr gekritzelte als geschriebene Text. Hochschiessende hs und ls wechselten sich mit dickbauchigen Vokalen ab. Eine verschwenderische Schrift. Sie war mir sympathisch, weil ich sie gut lesen konnte. Nach dem Essen drängte ich mich, sie anzurufen. Die Ungeduld und Spannung stieg und zugleich drechselte sich Hoffnung in meine Gedanken. Hoffnung auf Erleichterung. Hoffnung darauf, Betty einfach, schnell und für immer vergessen zu können.
Am übernächsten Tag holte ich Doris vom Bahnhof ab und wir fuhren mit der Straßenbahn zu mir. Ich war sehr angetan, als ich sie erblickte, zugleich erleichtert und froh. Ich erhoffte mir eine neue, spannende, tiefe, heiße, leidenschaftliche Liebe, als hätte ich nie einen anderen Wunsch gehabt. Wie gut sie aussah. Der blonde Bob mit den dichten, wippenden Haaren, darin eingerahmt ein zierliches Gesicht mit Stupsnase und zauberhaften Lippen, die einen Mund formten nahe an trotziger Naivität. Sie war einen Kopf kleiner als ich und hatte eine schlanke und doch kräftige Figur. Dazu die hellblauen Augen, die ich wahrnahm, als sie an meinem Tisch in der Küche saß und von ihrer lernintensiven Ausbildung erzählte. Am liebsten aber würde sie Musik wie Laurie Anderson machen, ob ich sie kenne. Natürlich, bestätigte ich, geile Mucke, beeindruckende Frau. Wir unterhielten uns bis in den späten Abend hinein. Sie fragte nicht nach der Uhrzeit, sondern wollte alles über mein Schreiben und meine Projekte wissen. Und als ich dann wirklich in ihre Augen sah, sah ich, dass sie glänzten wie winzige helle Kristalle, allein im Schein der Glühbirne, die nackt und grell von der Decke hing. Ich schwieg und wir sahen uns nur noch an, wobei ich ihren Blick nicht immer stand hielt. Zuerst lächelten wir noch verlegen, dann machten wir ein Spiel daraus und wechselten uns mit dem Gewinnen ab. Es wurde Nacht und Doris blieb. Wir schliefen miteinander, obwohl wir zuvor behauptet hatten, dass wir nur nebeneinander liegen würden. Wir lagen uns gegenüber und die Spannung war nicht lange auszuhalten. Schnell streichelten und küssten wir uns. Doris wurde forscher, bis sie sich auf mich setzte und intensiv meinen Schwanz an einer Stelle rieb, die ihr Lust machte. Mir war das zu hart. Ich fühlte mich unwohl. Ich hätte gerne auf sie gelegen, traute mich aber nicht, sie zu unterbrechen. Ich war seltsam zahm gegenüber ihrer Bestimmtheit. Sie stöhnte leise, ohne sich zu steigern. Vielleicht spürte sie etwas, auf einmal hörte sie auf. Sie legte sich neben mich und fragte, ob was sei. Ich log und flüsterte, alles in Ordnung, ich sei nur etwas müde. Ich zog sie an mich und fragte, ob wir schlafen wollen. Sie bejahte, schien mir aber enttäuscht.
In dieser Nacht schliefen wir so gut wie gar nicht. Wir redeten immer mal wieder. Ab und zu küssten wir uns und ich streichelte ihre weiche Haut und die festen Brüste mit den kleinen zarten Höfen. Ich wollte nicht mit ihr schlafen, dachte aber, sie wolle das unbedingt und sah mich verpflichtet, mich einzulassen und auch Lust zu haben. Dann kam ich über ihr. Ich glitt in sie hinein, aber sie war seltsam steif in den Beinen, was mich irritierte und dann meinen Kopf zum Laufen brachte. Ich hatte Sorge, meine Errektion zu verlieren und verlor sie. Sie lächelte, tröstete mich mit gehauchten Worten ins Ohr. Dann lag ich wieder auf dem Rücken, sie streichelte mich intensiv und ich spürte wie mein Schwanz trotzig hart wurde. Doris schwang sich wieder auf mich. Es blieb dabei, so machte mir das keinen Spaß, weil mir ihr unbedingtes Reiben meines Schwanzes an ihrem Kitzler zu hart war. Kurz war ich dem Ärger nahe. Ich hatte meine sonst unbedingte Lust auf einen Orgasmus verloren. Ich liess sie weiter machen, hielt sie einige Mal etwas zurück, wenn es mir weh tat und wunderte mich, dass meine Errektion hielt. Sie kam seltsam kurz, still und sah mich danach prüfend an. Ich schützte wieder Müdigkeit vor, um einem Gespräch zu entgehen und dachte wie ein Fremder mir selbst gegenüber, sie ist es nicht.
Shit! Habe ich das wirklich so erlebt, war ich wirklich so kümmerlich oder phantasiere ich mir hier etwas zusammen, um mich subtiler als früher in ein schlechtes Licht zu stellen? Doch spüre ich eine Wahrhaftigkeit in den Sätzen, die sich zu Bildern und Szenen formen, die mir aus dem Kopf fallen, die ohne Zögern, ohne grimmiges Formulieren von meinem Hirn über die Hand auf die fliehenden Blätter der Kladde fliessen. Mir wird jetzt bewusst, dass ich damals der verlorene Junge war, der vor seiner Lebensangst floh und da draußen diesen einen noch unbekannten Rettungsring suchte, der ihn durch die Widrigkeiten des Lebens und all seine Unzulänglichkeit tragen würde, der ihn träumen ließ von Freunden, die seine Talente schätzten, die ihm Wärme und Anerkennung, Inspiration und Orientierung schenkten.
Mit dem Schmerz nach Bettys Verrat war ich auf eine andere Ebene des Zweifelns gelangt. Ich sah mich vor dem Aus, ein gutes Leben sei vergeblich, Erlösung ein Hirngespinst, menschliche Wärme eine Illusion. Schwarz waberte es wie in einer Lavalampe durch mein Gemüt. Mich trieben nicht fassbare Gedanken und Ahnungen in Verwirrungen, die ich resigniert und verzweifelt mit haltlosem Kiffen vertrieb.
Doris verliebte sich derweil in mich. Ihre Anwesenheit half mir, das Kiffen einzuschränken. Ich brauchte es nicht mehr bis zur Quasi-Bewusstlosigkeit. Doris kiffte nicht und ich wollte mich ihr nicht in meiner Gier zeigen. Doris belebte mich mit ihrem Erlebnishunger. Wir trafen uns regelmäßig und manchmal schlief ich in der Hoffnung mit ihr, eine starke Lust zu bekommen, wie ich sie bei Betty hatte. Meine Hoffnung wurde enttäuscht, stattdessen verstärkten wir ein Ungleichgewicht, das durch ihre Sehnsucht und meine Fluchttendenzen entstand. Ich schwieg ihre leisen Liebesbekenntnisse an. Ich nahm eine Art Unterordnung mir gegenüber wahr. Was ich auch tat und wollte, Doris zog mit. Das stiess mich ab, das reizte mich, gemein zu sein, aber ich hielt mich zurück. Ich war gerne mit ihr zusammen, wir hatten viel Spaß und gute Gespräche, dann mochte ich sie. Und doch schwieg ich, wenn es um uns beide ging und hielt Verabredungen nicht ein.
Aufgeben wollte ich Doris nicht. Sollte Betty Doris sehen? Sie sollte Betty auf keinen Fall sehen, davon war ich überzeugt. Doch Doris wollte unbedingt in die Rottenstube. Eine Begegnung würde unvermeidlich sein. Mir war unwohl dabei und doch wünschte ich mir uneingestanden, dass Betty da sei. Natürlich war Betty da. Wir hatten uns vielleicht ein oder zwei Monate nicht gesehen. Betty stand am Rand der Tanzfläche, so wie es typisch für sie war, in aufmerksamer Beobachterposition, das Glas auf Brusthöhe und die Zigarette mit angewinkelten Arm nach oben haltend, zufrieden mit sich und der Welt. Ich wusste, dass Betty uns beobachtete, nahm aber zuerst keine Notiz von ihr. Ich unterhielt Doris, die sich in dem Laden pudelwohl fühlte und die ich den ganzen Abend schon sexy und verlockend fand. Sie hatte eine schwarze Gymnastikhose an und trug darüber einen engen, kurzen, abgerissenen Rock, der ihren Hintern betonte, was mich immer mal wieder mit einem tiefen Seufzer hinsehen liess. Dazu trug sie ein verwaschenes T-Shirt mit Grauschleier, zwei Nummern zu groß. Sie sah eigenwillig aus in ihrer Aufmachung. An dem Abend redete ich mir erneut ein, dass Doris nun doch meine neue feste Freundin und dass Betty mir gleichgültig sei. Mit einer seltsamen Genugtuung bemerkte ich, wie mich Bettys Selbstzufriedenheit, wie ich das nannte, abstieß. Eine Vorstellungsrunde ließ sich trotzdem nicht vermeiden. Die ließ Betty sich nicht nehmen. Ich sah ihr die Neugier an, sie strömte aus allen Poren, da konnte sie noch so gelassen auf uns zukommen. Betty gab sich einen für sie typischen Ruck, ich kannte die Art an ihr, wenn sie heikle Dinge anging. Sie kniff kurz ihren Mund zusammen, zog dann die Unterlippe entschlossen nach vorne, schaute kurz auf den Boden und ging los oder sprach es aus. Doris war vorbereitet. Ich hatte ihr die Geschichte über Bettys Verrat erzählt, meine Verzweiflung aber verschwiegen, die mir nah und fremd zugleich war. Ich glaubte beim Erzählen tatsächlich selbst, dass mir das alles nichts mehr ausmachen würde, dass das vorbei sei und hatte bemerkt, dass Doris mich zweifelnd ansah.
Betty und Doris kamen schnell ins Gespräch. Ich wusste gleich, dass sie sich mochten. Doris war anfänglich etwas nervös, aber die einnehmende Art von Betty gab ihr Sicherheit. Betty wurde immer gutlauniger und lud uns zu einem Getränk ein, sie gingen gleich beide zur Theke. Schneller als ich schauen konnte, stand ich allein am Rande des Tanztaumels und hätte nicht einmal Lust auf Poggen gehabt, wenn der Punkrock gerufen hätte. Zumal weit und breit kein anderer Punk zu sehen war. Ungeduldig wartete ich auf die beiden Frauen, ahnte, dass meine gespielte Offenheit gegenüber Betty ein Fehler war, was mir ein Getränk weiter bestätigt wurde. Betty hatte spitz gekriegt, das Doris und ich am Freitag am andere Ende des Reviers zu einem Auftritt der Womitmens fahren wollten. Was für ein Zufall, die wolle Betty auch sehen, da könnten sie zusammen fahren, sie habe ein Auto. Sie würde sogar den Bassisten der Band kennen. Doris fand das geil, wobei ich vermutete, das sie das nur gut fand, weil sie erleichtert war. Betty war unkompliziert und offen ihr gegenüber, was Doris bei Frauen nicht alle Tage erlebte. In ihrer Ausbildung, so erzählte Doris oft, seien die meisten Frauen ausnahmslos spießige, hochnäsige Zicken, die meinten, sie seien was besseres, weil sie Lippglos auftrugen und sich was auf ihre beschissenen Dauerwellen und auf ihren ekelhaften Discoglitzer einbildeten. Wenn sie ahnen würden, wie häßlich sie damit aussähen. Eine Frau wie Betty hatte Doris bis dahin wohl noch nicht kennengelernt. Entsprechend angetan war sie, entsprechend wäre sie mit allem einverstanden gewesen. Ich sah mit Sorge voraus, dass wir Betty so schnell nicht mehr loswerden würden. Ich ahnte an dem Abend bereits, dass mich peinliche Situationen erwarten würden, schob die Sorge aber souverän beiseite und verließ mich auf gute Ausreden. Mir einzugestehen, dass ich zu feige war, aufrichtig zu sein, indem ich mich zu Betty bekannte und Doris verliess, davon war ich am den Abend weit entfernt. Ich wollte nur weg und zog Doris unter einem Vorwand nach draussen. Die frische Luft tat gut und ich kam gleich zur Sache. Täuschte Müdigkeit vor und wollte unbedingt den letzten Bus mitnehmen. Frühzeitig und ohne Abschied von Betty sind wir abgehauen. Doris schwärmte von Betty, was mich nervte. Ich schwieg und Doris verstummte.
Für Doris wurde mein Verhalten unberechenbar. Nicht umsonst nannte sie mich liebevoll Wirrwarr. Zugleich litt sie darunter, dass ich nicht verläßlich war. So richtig in Fahrt kam meine Verwirrung erst, als ich mit den beiden Frauen Richtung Womitmens fuhr. Eine Ausrede war mir nicht mehr eingefallen und ich bekam die Quittung für mein doppeltes Spiel. Ich sass wie auf einem heißen Stuhl, war scharf auf Betty und gleichzeitig abgestossen, weil sie mir anbiedernd vorkam. Dabei war sie nur nett. Sie mochte Doris, das spürte ich. Ich weiss nicht, wie es zu dem Thema kam, Doris und Betty sprachen über Dreiecksbeziehungen. Beide waren ganz offen dafür und ich schloß mich murmelnd an. Wichtig sei nur, das Vertrauen zueinander nicht zu verlieren, sagte Doris und Betty nickte eifrig und wissend. Ihrer beider Einigkeit reizte mich zum Widerspruch. Als ob sowas so einfach wäre! Aber für die beiden Frauen war sowas einfach, wenn sich alle drei gut verstehen würde. Das sei natürlich das Wichtigsten, sonst ginge das nicht. Ich schwieg, ich bildete mir ein, sie wären in einer Verhandlung darüber, wie sie mich in Zukunft aufteilen würden. Ich wollte nur raus aus dem Auto. Doris fand an diesem Abend keinen Zugang mehr zu mir. Ich erfand Widrigkeiten und nörgelte an der Band herum, ich fand das Bier zu warm und war sauer auf beide. Ich gestand mir nicht ein, dass ich Betty wollte und Doris nicht, dass ich Dreiecks- oder Vierecksbeziehung verabscheute, mir aber den heiligen Anspruch, das können zu müssen, abrang. Getragen von Souveränität und Offenheit. Sei doch nicht so unfähig!
Anspruch, Souveränität und Offenheit, das war meine persönliche Dreifaltigkeit, mit der ich mich marterte. Bockig, trotzig und steif wie ich manchmal war, wollte ich nicht einsehen, dass die Ansprüche an mich selbst meine Möglichkeiten überstiegen. Damit mir diese Erkenntnis nicht zu nahe kam, kiffte ich mich in den Nächten nahe dem Nirwana.
Ich weiss nicht, ob es Zufall war oder ob ich es nur falsch erinnere: In dieser Zeit der Drogen wurden die Abstände zwischen dunklen Gefühlslagen und federleichtem Tatendrang geringer und das Gefälle größer. Bewusst war mir das nicht. Noch stand ich zwischen zwei Frauen und ich hatte keine Ahnung, wie ich aus dem Dilemma herauskommen sollte. Zu allem Überfluss rief ich Betty an. Sie hatte mich darum gebeten, mir erschien das als eine dringlich Bitte. Das Ergebnis: Sie kam noch am selben Abend zu mir. Wir redeten nicht viel über das vergangene. Nach einem kurzen Austausch von Belanglosigkeiten auf dem Weg in die Küche, standen wir uns gegenüber. Betty schaute zum Boden und sagte, dass sie Doris gerne habe und dass meine Beziehung zu ihr in Ordnung sei. Ich wollte das nicht hören, wollte dem Wort Beziehung widersprechen, blieb stumm. Kurzes Schweigen dann. Sie habe mich vermisst, sagte Betty und nach einem kurzen Zögern fügte sie hinzu, sie wolle mich nicht ganz verlieren. Ich stand da, mein Unterleib war kurz vor der Explosion. Sie kam auf mich zu und küsste mich. Wir fickten kurz, heftig, gierig. Danach fühlte ich mich leer und erleichtert. Betty wollte gerne bei mir bleiben. Mir passte das nicht, weil ich noch in Ruhe kiffen und mich danach in ein Cassettenmix vertiefen wollte. Aber ich dachte an den nächsten Morgen und bekam wieder Lust. Ich stehe noch einmal auf, sagte ich. Betty schlief schnell ein und ich war froh darüber. In der Küche kiffte ich am Tisch, beobachtete das Wabern und Versiegen der Gedanken und legte mich danach zu Betty auf die Matraze am Boden.
In den Folgewochen wollte ich Doris endlich alles erzählen. Das zog ich hin. Ich schrieb ihr einen Brief, in dem ich gestand, dass ich mich nur zu Betty hingezogen fühlte. Ich schickte ihn nicht ab. In der Zwischenzeit nervte mich Betty in ihrer Art, alles um sich herum zu vergessen, wenn sich irgendein Genuss auftat. Wenn es eine Süssigkeit oder ein belegtes Brotstück war, legte sie es sich mit Zeigefinger und Daumen im Mundraum ab, machte zehnmal Hm und betonte ebenso oft, wie lecker das sei. Danach leckte sie sich mit dem gleichen Genuss die Finger ab. Ich konnte das kaum ertragen, vor allem wenn ich gerade über die Schlechtigkeit der Welt klagte. Doris sah ich jetzt seltener, ihre Briefe wurden häufiger und dringlicher, aber ich überflog sie nur oder las sie gar nicht. Ihre Handschrift erschien mir nun als Zumutung und ich fühlte mich bedrängt. Ihre Briefe waren auf langen Seiten beidseitig mit Verzweiflung signiert. Als ich ihre Briefe letztes Jahr das erste Mal aufmerksam las, schämte ich mich und hatte den Wunsch, mich zu entschuldigen. Mich überkam schmerzliches Bedauern und ich fragte mich, was sie heute wohl mache. Ziemlich lange recherchierte im Web. Aber ich fand sie nicht. Die junge Doris existiert nicht im Netz, genauso wenig wie der Wirrwarr.
Ein knappes Jahr versuchten Betty und ich also die freie Liebe, was zu den geschilderten Verletzungen führte, über die wir nie sprachen. Diese zwingende Lust in der Mitte meines Körpers ließ mich jede Verwerfung vergessen. Rechtzeitig vor einer endgültigen Trennung beschlossen wir dann die Monogamie und fuhren kurze Zeit später in den ersten gemeinsamen Urlaub. Zwei Wochen zelten; nur an einem Tag nicht. Das war ein Tag, der mein Fühlen und Denken auf eine noch höhere und bedrohlichere Ebene der Wirrnis beförderte. Der Anfang des Urlaubs schien wie gemacht dafür.
Mein letzter Urlaub war eine Kinderverschickung in die Sommerferien gewesen. Kinderreiche Familien aus Problemsiedlungen durften ihre frühpubertierende Brut für drei Wochen und fünfundzwanzig Mark nach Österreich verschieben. Die Auszeit mit Betty aber fing längst nicht so gut an wie mein Kindertrip ins bergenreiche Zillertal. Bereits die Überfahrt über den Ärmelkanal fand ich zum Kotzen. Nur das Totstellen auf einer Bank im Schiff linderte Schwindel und Übelkeit. Als ich Brighton sah, dachte ich Kaff, Kaff, Kaff – überall Touristen. Breit und behäbig urlaubten sie im Selbstverständnis ihres verfetteten Glücks und suchten zwischen XXL-Tüten und Plastikflaschen, zwischen Beachbummel und Tourifraß das Glück der Erholung. Das reizte mich zu zahlreichen Tiraden über den Imperialismus, über die Kriege des Westens und seine Opfer, die weit weg von uns krepierten, während wir uns mit Pershings auf das nächste und letzte Grauen vorbereiteten. Mißmutig und verächtlich warf ich Betty die Worte hinterher, während sie sich um alles kümmerte, das unter meiner Würde lag.
Neben der vermeintlichen Gleichgültigkeit oder Heuchelei meiner Mitmenschen machten mir auch die Pflichten und Zumutungen des Urlaubs zu schaffen. Betty wurde unerwartet anmassend. Sie verlangte von mir, dass ich einkaufen ginge. Ich, mit meinen dreikommafünf Worten Englisch. Im Hinterstübchen war mir das peinlich. Als mir nichts mehr einfiel auf ihr Drängen, ausser ein freundliches Leckmich oder ein träges Kein Bock, kehrte ich ihr den Rücken zu und schwieg die wechselnden Landschaften an. Aber Rücken machte Betty wütend. Einmal rief sie, Kindskopf, wie ein Pascha!
Pascha war ein Wort, das mich verläßlich reizte und das genauso verläßlich einen Monolog über ihre verlogene Spießigkeit provozierte. Blitzschnell wie ich war im Urteilen, transferierte ich ihre von Macht, Medien und Konsum beherrschten Verhaltensweisen in die großen politischen Zusammenhänge, was sogleich zur moralischen Schuld der Gleichgültigen und Verantwortungslosen führte, die nur und nochmals nur und immer nur an sich dachten! Aber nicht mein Räsonieren, Schimpfen und Täuschen trieb Betty zum Selbsteinkauf, sondern der Hunger. Hunger war ein Zustand, den sie so gut wie gar nicht ertragen konnte, schon bei nahendem Appetit wurde sie nervös. Ich wusste das.
Im Verlauf des Urlaubs fand ich reichlich Stoff für kindisches Gezänk, beleidigtes Schweigen und saublöde Kommentare. Ein ironisches Gesicht war Bettys Standardantwort. Teilte ich ihr von meiner hohen Warte Abwegigkeiten mit, konterte sie mit ironischem Auflachen. In den Jahren unseres Zusammenseins verdichtete Betty ihren Standpunkt mit dem gekonnt knapp gehaltenen Schlusswort Kotzbrocken, vorgetragen mit mindestens drei Ausrufezeichen.
So fuhren wir. Durch ein England in skrupelloser Thatcherhand. Von Brighton direkt nach London. Schon wieder Touri-Trubel und nicht zu knapp. In einem dieser bescheuerten Doppeldeckerbusse wurde mir schlecht. Danach nörgelte ich so ausdauernd, dass auch Betty vorzeitig und ungewohnt schnell zum Campingplatz zurück wollte. Kein Wort sprachen wir mehr, bis zum nächsten Tag.
Danach kam Wales als wohltuender Abstecher. Nichts als Landschaft, viel Sonne und eine Stille, die mir neu war. Weiter ging es Richtung Norden. Dann, als wir nah der schottischen Grenze waren, passierte es.
Betty fuhr und ich war still. Ich hatte nach Abbau des Zeltes keine Lust zu fahren, was mich wunderte und zugleich erleichterte, hatte ich doch keinen Führerschein, Betty machte das mit. Was dann geschah, beginnt mit einem Bild, das wie eingebrannt ist in meinem Hirn: In der Ferne sah ich ein schmutziges Kraftwerk mit mehreren Kühltürmen und Schornsteinen, aus denen dicker grauer Rauch brach, der mich zu vergiften drohte. Vor jeder Gegenwehr fühlte sich mein Körper augenblicklich an, als würde er in ein Vakuum gezogen. In meinem Kopf der monströse Gedanke und nur der: Ich sterbe, ich sterbe jetzt!
Betty sah, dass ich zitterte. Sie hielt kurz an, fragte, ob ich etwas trinken wolle. Nein, hauchte ich und war froh, dass sie nicht fragte, was sei, ich hätte es nicht sagen können. Ob sie weiterfahren könne? Ich nickte und Betty startete den Motor. Wir nehmen heute ein Hotel, beschloss sie. Der Gedanke an ein Hotel beruhigte mich, ein Bett, ein Raum, vier Wände. Und noch mehr beruhigte mich, dass wir uns von dem Kraftwerk entfernten.
Am nächsten Tag ging es mir besser, aber ich fürchtete mich vor einem weiteren Anfall und achtete angespannt auf meinen Körper. Ein paar streitlose Tage zwischen rauer Wiesen- und Steinlandschaft mit einer plötzlich auftauchenden Bucht, in die langsam die Strömungen zweier Meere bis zum Sandstrand hineindrängten, lenkten mich ab. Im naheliegenden Dorf begegneten wir Menschen, an denen ich nichts auszusetzen hatte. Im Gegenteil, ihr verhaltenes Interesse, ihre Einfachheit, ihre gesamte Art gefiel mir. Ich brachte es sogar fertig, ganz allein den kleinen Pub zu betreten, um einen halbtransparenten Kanister mit Bier auffüllen zu lassen. Ohne Schamschaden und mit vollem Kanister kam ich zurück. Im Zelt feuerten wir mit dem süffigen Bier unsere eh schon kaum auszuhaltende Geilheit an, die verläßlich auch heftigen Streit resettete.
Einige Monate später teilten wir uns bereits eine Wohnung und Betty meldete beharrlich einen ganz persönlichen Kinderwunsch an. Sie ginge schließlich auf die Zweiunddreißig zu. Ich nahm sie zuerst nicht ernst, blieb wortkarg im Vagen, spielte auf Zeit. Betty hielt das schlecht aus. Sie wurde zusehends nervöser, während ich mich zunehmend bedrängt fühlte. An einem der dunklen Tage fiel ich in eine Kraftlosigkeit, die mit dem Aufwachen noch erträglich war, mich am Abend aber mit einer Wucht heimsuchte, auf die ich nicht gefasst war. Ich saß im Sessel, wie in Bernstein gegossen, zu keiner Bewegung fähig, nicht mehr Herr meines Körpers, meines Willens. Den Arm heben, einfach nur heben? Das blieb ein nutzloser Gedanke. Von weit her hörte ich Betty, obwohl sie in meiner Nähe war. Ich hörte ihre Bitten, aber es waren nur Worte ohne Sinn. Ich sah, wie sie verzweifelt von einem Zimmer zum anderen ging. Ungewissheit quälte sie. Ich war ihr vollkommen entglitten. Sie flehte und schrie und ich sass tot da. Endlich ging sie ins Bett und ich kroch in der Nacht zum Zweisitzer in meinem Zimmer.
In den Monaten darauf ließ mich ein Bedrohungsgefühl nicht mehr los, und in den Nächten ertrank ich in Adrenalin. Manchmal kam ein schleichendes Unbehagen mitten am Tag. Zuerst mit leichtem Druck auf der Brust, später mit einer beklemmenden Unkonzentriertheit, als wären die Gedanken in klebrigen Netzen gefangen. Mein Körper drohte, zu versagen. Ein Hauch würde reichen, dann wäre ich tot!
Unerwartet ging es mir besser, nachdem ich einige von Panik getriebene Tag-Albträume überlebt hatte. Die Nächte wurden ruhiger. Der Frühling half, seine jungen Blätter, der erste Amselgesang, wahrgenommen in einer bis dahin nicht erlebten Intensität. Bettys Arzt half, ein Anthroposoph mit Kassenzulassung. Baldrian-Dragees halfen, immer dann, wenn Kopf und Körper mit der Angst vor der Angst drohten. Drückte die Not, ging ich zum Arzt. Eines Tages schlug der mir eine Therapie vor. Zwei Absolventinnen der Universität würden in seinen Räumen Psychodrama anbieten. Ich traute mich nicht nach den Kosten zu fragen, war mit Arbeitslosenschämen beschäftigt. Der Arzt verwies gleichmütig darauf, dass die Therapie auch für weniger zahlungskräftige Patienten gedacht sei. Trotz der Zweifel, sagte ich zu. Ich konnte dem Arzt nichts abschlagen, wie er da vor mir sass, groß und schlank und mit einem gepflegten Vollbart, der ihm gut zu Gesicht stand. In seiner Stimme lag eine warme Sachlichkeit, die mir Vertrauen schenkte und Sicherheit gab.
Leidensdruck trug auch dazu bei, mich einer Gruppe von Gleichgestörten zu stellen, mein Unterstübchen war sich längst im Klaren darüber. Wenn ich mich nicht gerade in Schwermut jedem Leben verweigerte, feierte ich wie ein Ping-Pong-Ball mein großartiges Leben: Großartig vor die nächste Wand fuhr ich es, großartig verfahren in den Liebesversuchen mit Betty war es. Betty, die ein Kind von mir wollte und die mein Leidensschwimmen mit Schnappatmung beantwortete, die mein Schweigen falsch deutete und allein auf sich bezog, so wie ich immer alles auf mich bezog.
Damals fing ich an zu ahnen, dass alle Menschen ihre eigene Wirklichkeitsbrillen tragen. Meine Wirklichkeit war der Versuch, die Zerrissenheit zu deuten. Manchmal fühlte ich eine Vagheit im Kopf, die mich jeden Augenblick zu der Wahrheit führen würde, als läge sie bereits auf der Zunge und müsse nur ausgesprochen werden. Schnell wie ein Geruch, der bereits verschwunden ist, bevor das Hirn ein Wort dafür gefunden, glitt die Wahrheit an mir vorbei. Es gab keine erlösenden Worte, nur ein vorsprachliches Ahnen. Aber an die Worte, an die Kraft der Worte glaubte ich immer.
Im Wartezimmer meines Arztes entdeckte ich die Psychologie Heute, die mir Hoffnung auf leidenslindernde Erkenntnisse machte. Als mir die Idee des Unbewussten bewusst wurde, suchte ich eine verdrängte Ursache für die nächtliche Panik und diesem hartnäckigen Gedankentwist, auf dem Holzweg zu sein, auf der Stelle zu treten und niemals wissen zu werden, was ich wirklich will. Die Bergung einer Ursache sollte meine Rettung sein und ich begann mit Nachforschungen in meiner Familie.
Ich gehe zu meiner Mutter, die mich als Kind in dunkle Kammern sperrte und häufig schlug, wenn sie die Nerven verlor. Sie ist überrascht, hat mich nicht erwartet. Wir setzen uns und ohne Zögern verlange ich, dass sie mir sofort erzählen solle, was sie mir als hilfloses Kind angetan habe, sonst wäre sie gestorben für mich. Mit dem ewigen Kittel am Körper sitzt sie auf ihrem angestammten Küchenstuhl und schaut beschämt auf ihren Schoß. Nichts ist mehr zu sehen von ihrer verzweifelten Wut, mit der sie ihre fünf Kinder anschrie, ohrfeigte oder durch die Zimmer jagte. Sie bringt mit leiser, abwesender Stimme ein paar Sätze heraus, die alles sagen, was zu wissen wichtig ist.
Sie habe es doch auch schwer gehabt. Sie sei in Tschechien auf Landverschickung gewesen, als der Krieg war. Vergewaltigt mit neun Jahren. Als sie zurück kam nach Hause, habe ihre Mutter so getan, als ob sie nicht ihre Tochter sei. Als wäre sie nie zurückgekommen.
Sie senkt den Kopf, drückt ein Papiertaschentuch zusammen, das sie umklammert, als wäre es ihr ein Halt. Als läge in diesem Stück Zellstoff ihre ganze einsame Traurigkeit, als sei ihr Schmerz darin eingesogen wie die Rotze nach den Tränen, fest zugehalten, damit nichts davon ans Tageslicht kommt.
Wir schweigen. Dann stehe ich auf, sage, dass ich gehe und gehe ohne Trost. Hier ist nichts zu holen. Alles liegt an mir. Ohne ihr zutun, muss ich mich retten. Den Vater, den feigen, will ich nicht mehr zur Rede stellen, was würde er mir auch schon sagen können.
Nach diesem Tag war meine Leidverstrickung ein wenig entwirrt. Vor allem kam mein Humor zurück. Neurosen hassen Humor. Neurosen sehen alt aus, wenn Selbstironie sie lächerlich macht. Humor ist DIY-Therapie mit der wirksamsten Intervention, die je erfunden wurde. Es dauerte noch Jahre, bis mein Humorgemüt die lauernden Triebe des Selbstmitleids und der moralischen Empörung zupfen konnte, ohne Gift und Bunsenbrenner. Damals hatte ich wenig Erfahrung mit dem Selbstgefühl, ein Wort, das mir dreißig Jahre später Ernst Weiß als wahrhaftigen Ausdruck für die heute zu Tode optimierte Selbstliebe anbot. Damals wusste ich nicht, dass ich die Seelenwege aus dem Schmerz heraus und hin zur nie eingestandenen Sehnsucht, nur im Vergehen der Jahre finden konnte. Damals war meine angeborene, phantasiebegabte Empfindsamkeit zu sehr verletzt, um ein wenig Licht in mein Fühlen und Wollen bringen zu können. Aber eine Therapie stand an. Und ich wollte sie.
© Mai 2024 by Wandelkern Lesermail