Bildungsglück eines Ahnungslosen
Tobe war erst vor kurzem volljährig geworden und arbeitete bei einem kleinen kommunistischen Verlag, für den "Asphaltliteratur" Programm war. Er trug blondes Haar, das an einer Seite ausrasiert war und in einer dicken Strähne über die Stirn lief. Er wollte mich von Hamburg aus im Ruhrgebiet besuchen und fragte, ob er über das Wochenende bei mir pennen könne. Das machte mir Kopfzerbrechen. Lieber nahm ich rhythmisch wogende Sorgenfalten in Kauf, als mich der unwiderstehlichen Angst vor dem Nein zu stellen! Ich spielte meine Bedenken herunter. Das war so ein Spiel, das ich gut beherrschte. Hatte ich doch früh ein Abo auf Zerrissenheit untergeschoben bekommen, das helle Momente nicht ausschloss: Ey, es geht um ein eigenes Buch! Da wird man doch mal zwei Tage seine beschissene Wohnung teilen können! Stell Dich nicht so an!
Tobe sprach in der Regel gewählt und sachlich. Aus seinen hellen Augen stach noch hellere Intelligenz, zudem eine stete Wachsamkeit, als ob er unablässig analysieren würde. Sein Vater arbeitete als Soziologieprofessor, seine Mutter war Sekretärin a.D. und als Hausfrau beschäftigt. Tobe war ihr einziges Kind. Im Haushalt der Eltern wohnte auch die Mutter des Vaters, eine Überlebende des Holocausts. Alle anderen aus der verstreuten Familie hatten die Nazis ermordet oder waren verschollen. Tobe erzählte das mit ruhiger Stimme, fast beiläufig, während ich aufstöhnte und nicht mehr wusste, wie ich mich verhalten sollte. Was war angemessen? Gab es eine angemessene Reaktion? Weinen? Ihn trösten? Wütend das Unrecht in die Welt hinausschreien oder einen Rachefeldzug gegen all die organisieren, die ihre Schuld an das Wirtschaftswunderleben abgegeben hatten, gegen all die, die den Holocaust immer noch verharmlosten oder leugneten? Tasächlich, es ging recht pathetisch und hilflos zu in meinem Kopf und ich war nicht in der Lage, das mich treibende Gefühl zu durchschauen, geschweige denn, es auszusprechen:
Ich schämte mich, ein Deutscher zu sein.
Das ging soweit, dass ich alle verachtete, die den Spruch ausspuckten, ich bin stolz ein Deutscher zu sein. Mir blieb dann fast der Atem weg, ich spürte den Drang, eine Faust aufs dumme Maul zu setzen, obwohl ich Gewalt verabscheute. Ich ahnte, wusste aber nicht, dass ich endlos traurig war über mich und in endloser Angst gegenüber dem Tod, und dass ich in endloser Fassungslosigkeit darüber war, dass Menschen andere Menschen systematisch gemordet und sich an den Opfern bereichert hatten, dass sie ihr Morden bürokratisierten und dokumentierten, als gäbe es später Erfolgsprämien und Auszeichnungen für die Anzahl der vernichteten Leben. Dass sie überhaupt morden oder beim Morden zusehen konnten und dabei nicht das geringste Mitgefühl spürten, das will mir bis heute nicht in den Kopf, das habe ich bis heute nicht verstanden, das ist bis heute, obwohl ich so viel mehr weiß, eine unbeantwortete Frage. Ich kann noch so viele Studien lesen, noch so viele historische Tatsachen, Ursachen und Zusammenhänge begreifen, es bliebe immer die Fassungslosigkeit, die nicht eindringen kann in die unendliche Kälte mordender, sadistischer, gleichgültiger Seelen. Es bliebe trotz aller widersprüchlichen Vorgänge und Verhaltensweisen, die in dieser Zeit der systematischen Grausamkeit Gut und Böse verwischten, es bliebe und bleibt bis zu meinem Tod eine Unvorstellbarkeit gegenüber dieser unendlichen Gleichgültigkeit.
Als ich Tobe vom Bahnhof abgeholt hatte und er neben mir herging, erzählte er kurz seine Familiengeschichte. Er spürte meine Betroffenheit. Er kenne meine Reaktion. Betroffenheit helfe nicht weiter. Ausserdem lehne er diese Hippie-Attitüde ab. Ich brachte daraufhin tatsächlich einen frechen Satz heraus: Ob ihn Gleichgültigkeit lieber sei. Natürlich nicht, sagte er, aber Betroffenheit helfe niemandem weiter. Stattdessen stehle man sich aus der Verantwortung, ziehe keine politischen Konsequenzen, stelle sich nicht mit einem notwendigen Handeln gegen strukturellen Rassismus. Ich verstand nicht, was er meinte und was das mit mir zu tun habe und fragte ihn, ob er mich damit meine. Wie ich darauf käme? Ich wusste keine Antwort, sagte nur, dass der Holocaust unvorstellbar für mich sei. Ja! Aber sich schuldig zu fühlen, nur weil man Deutscher sei, führe zu nichts, sei irrational, sei resignativ. Das verstand ich und ich verstand auch, dass er mir rhetorisch haushoch überlegen war, nahm mir vor, aufzupassen, was ich sagte, um keine Peinlichkeiten von mir zu geben. Tobe wechselte indes das Thema und fing an, mir Fragen zu stellen. Wie ich aufgewachsen und Punk geworden sei? Ich war wieder auf sicherem Asphalt und konnte frei erzählen, ohne ständig meine Ausdrucksweise und Wortwahl, meine Intelligenz und meinen Wert in Frage zu stellen, ohne mich als fehlerhaft und als primitiv abzuwerten, ständig auf der Hut vor der alles vernichtenden Beschämung.
Man könne mir beim Denken zuschauen, sagte mir Tobe am nächsten Tag, was eine weitere Bestätigung meiner Unzulänglichkeiten und Defizite war. Schade, dass ich damals nicht auf den Gedanken kam, aber ich hätte eine Hitparade der Defizite aufstellen können, um klar und deutlich zu dem Schluß zu kommen, dass es besser sei, mir die Kugel zu geben. Der Gedanke an einen Freitod war in meiner Punkzeit nur ein trotziges Spiel mit der Selbstvergewisserung, dass ich leben und nichts als leben wollte. Manchmal schlichen sich die Tagträume meiner Kindheit in den Alltag meiner damaligen Verwirrtheit ein, in denen ich mir meinen Tod als Rache für erlittenes Unrecht vorstellte. Ich sah mich tot auf den Boden liegen und es dauerte nicht lange und die Frage drängte sich auf, wie ich die Verzweiflung der Eltern geniessen könnte, ich wäre ja tot! Kindlich souverän schob ich die spielverderbende Logik beiseite und fand tröstenden Genuss an den dramatischen Szenen der Reue und den elterlichen Versuchen, mich verzweifelt ins Leben zurückzuholen. Die Sehnsucht nach Liebe spielte auf der Bühne meiner Imaginationen die Hauptrolle, selbst wenn ich mich Freitodphantasien hingab.
Tobe erzählte ich von all dem nichts. Ich hatte nicht die Sprache dafür und die Demütigungen meiner Kindheit lagerten gut gesichert in einem Giftschrank. Gegenüber Tobe breitete ich mein Leben in einer Folge von kurzen Anekdoten aus. Mein Weg zum Punk nahm den größten Raum ein. Über die Schläge in der Kindheit erzählte ich nichts, erwähnte aber meine Rolle als schwarzes Schaf in der Familie als Erstgeborener. Als ich meine Idee von der produktiven Arbeitslosigkeit vorstellte, war Tobe beeindruckt. Er habe großen Respekt davor, dass ich als Arbeiterkind auf diese geradezu revolutionäre Idee gekommen war. Davon träumten doch alle Linksintellektuellen. Und überhaupt, so in die Unsicherheit zu gehen, der Arbeitswelt den Rücken zu kehren, das befand Tobe als sehr mutig. Als mutig hatte ich mich bis dahin nicht wahrgenommen. Ich fand Tobe mutig. Er hatte die Schule geschmissen und weigerte sich, das Abitur zu Ende zu machen. Warum sollte er einen Abschluss haben in einem Land, dass mit Nazimethoden politische Gefangene foltere? Als Mitglied eines Unterstützer-Komitees für RAF-Gefangene, die von Kontaktsperren und Isolationshaft bedroht seien, fühle er sich wie ein Staatsfeind behandelt.
Wir werden nicht nur in unserer Arbeit behindert, wir werden auch observiert. Sie stellen sich manchmal so blöd an dabei!
Echt!
Aber noch kannst Du einen Rückzieher machen, wenn dir die Geschichte zu heiß ist.
Wie Rückzieher?
Die wenigsten wollen irgendwas mit der RAF zu tun haben.
Mich schockt das nicht. Ich verstehe nur nicht, um was es genau geht. Die Gewalt der RAF jedenfalls ist nicht mein Fall. Mit dem Kopf durch die Wand, was soll das bringen.
Das ist längst Usus! Darum geht es nicht. Die Schweinerei des Staates ist, dass er den RAF-Gefangenen nicht den Status als politische Gefangene zuerkennt, sondern sie als Kriminelle betrachtet. So umgeht er die Genfer Konvention, die Isolationshaft als Folter einstuft. So kann der westdeutsche Staat in einem Graubereich agieren.
Was ist Isolationshaft?
Eingesperrt in eine nackte Zelle, oft auch wirklich ganz nackt und 24 Stunden überwacht, ohne Kontakt zu Menschen, ohne äußere Reize, mit grellem Licht in den kleinen Zellen Tag und Nacht, das treibt dich in den Wahnsinn, das ist wie ganz langsames Ertrinken, macht dich verrückt. Sensorische Deprivation nennt man das. Manche würden sich lieber töten als das länger aushalten zu müssen. Isolationshaft ist Folter! Folter ist Rache! Der Staat rächt sich! Er will vernichten und rechtfertigt das mit Kontaktsperren! Ich bin davon überzeugt, dass die Selbstmorde in Stammheim durch diese Folter zumindest begünstigt wurden, wenn es überhaupt Selbstmorde waren! Aber das bleibt Spekulation.
Mir wurde das Thema unangenehm, ich wußte zu wenig darüber. Ich stellte mir vor, dass der Staat die drei RAF-Mitglieder in den Tod getrieben hätte. Den Rechtsstaat nahm ich damals nicht ernst, er war für mich von alten Nazis durchsetzt. Aber ich glaubte auch nicht, dass in der BRD ein Rachestaat herrschte. Ich glaubte aber, dass seine Bediensteten im Geist der Nazizeit harrten. Einen Geist, für den die Vernichtung von Menschen zwischen Sadismus und bürokratischer Befugnis etwas Selbstverständliches war. Warum sollten die Täter und Mitläufer, die übergangslos der Demokratie und dem Sozialismus dienen durften, ihre mordende Gewissenhaftigkeit, ihren Sadismus und ihre Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leid plötzlich abgelegt haben, nur weil der Amerikaner oder Russe ihnen gute Posten oder einfach nur Arbeit und Wohlstand versprachen? Ich kleidete die nie angefangene Entnazifizierung damals nicht in eine Frage ein, wie heute. Das Thema randalierte stattdessen als empörungsgesättigte Verallgemeinerung in meinem Kopf und machte die Regierungspolitik, Justiz und Polizei zu meinem Feind.
Als ich Tobe später in der Hauptstadt des Nordens besuchte und seine Eltern und die Großmutter kennenlernte, war ich tief beeindruckt und noch tiefer verunsichert. Ich fühlte mich klein und stumm und befürchtete ständig, etwas falsches zu sagen. Wir sassen an einem runden Holztisch in einem kleinen schmucklosen Raum zwischen Küche und Wohnzimmer. Es gab Gemüsesuppe. Die Großmutter vergrub ihr Gesicht in dem Teller vor ihr und beachtete mich den ganzen Abend nicht. Damals erinnerte mich die Unsicherheit am Tisch der jüdischen Familie an meine Kindheit: Wie ich ebenso unsicher an den Familientischen meiner seltenen Freunde sass und mit schlechtem Gewissen fremdes Brot annahm. Ich brachte kaum ein Wort heraus und wurde nicht satt. Am Tisch mit Tobe und seiner Familien rebellierte ich still gegen die Unsicherheit, versuchte sie zu überspielen, in dem ich mich zwang, einen angebotenen Nachschlag zu nehmen, zumal die Suppe lecker und kein Vergleich mit der Dosennahrung war, die mich bis dahin ernährt hatte. Ein Gespräch kam nicht so recht in Gang. Man stellte mir Fragen und ich antwortete wortkarg.
Danach gingen wir in das große Wohnzimmer, dessen fensterlose Wand komplett mit Büchern zugestellt war. Es roch nach Teppich, Holzleim und Pfeifentabak, der kalt und süß im Raum lag. Der Vater sass in einem breiten Ledersessel mit kupfernen Nieten und angeberischen Lehnen aus dunkelbraunen Holz, neben sich ein Beistelltisch aus Korb und Glas, darauf Rauchutensilien und ein Stapel Bücher. Er stand auf und überreichte mir ein kleines gebundenes Büchlein auf dem „Die Schachnovelle” stand. Ein kleines Willkommensgeschenk, sagte er und fügte hinzu, vielleicht gefalle es mir ja. Auf seine Frage, ob ich Schach spiele, sagte ich, nur ganz selten und blätterte durch das Buch, als suchte ich Bilder. Endlich gesellte sich Tobe dazu, lobte das Buch, so dass es mir noch geheimnisvoller vorkam — weit über 20 Jahre später las ich es als Taschenbuch; die geschenkte Ausgabe hatte ich längst bei einem meiner vielen Umzüge verschlampt. Tobe erzählte dem aufmerksam zuhörenden und an der Pfeife schmauchenden Vater über unsere Pläne in den nächsten beiden Tagen meines Aufenthalts. Zu den Landungsbrücken, natürlich, ein bisschen Kiez, klar. Auch ein Verlagsbesuch stand an. Meine Texte würden für ein ganzes Buch nicht reichen und es ginge auch um ein Exposé. Ihnen schwebe ein Buch über den Alltag eines Punks aus der Provinz vor. Daraus könne sich ein Roman entfalten. Das war mir neu oder ich verstand zum ersten Mal wirklich, was Tobe und der Verlag von mir erwarteten.
Ich werde diesen Besuch niemals vergessen. Allein die Bücherwand machte mich fassungslos. Sie flösste mir einen Riesenrespekt ein, sie machte mich klitzeklein. Unvorstellbar war, dass ein Mensch so viele Bücher lesen will oder kann. Trotz allem war ich klug genug, nicht die blödsinnige Frage zu stellen, ob er sie alle gelesen habe. Ich ahnte, dass es darum gar nicht ginge. In mir aber stieg der Anspruch, mehr Bücher zu lesen, ins Enorme: Endlich ernst machen mit meiner produktiven Arbeitslosigkeit! Endlich wirklich weiterbilden und lesen, viel lesen! Aber war ich nicht bereits an ein paar Brecht-Bänden gescheitert, als ich vor dem Regal einer Freundin stand und ein Brecht-Stück und einen Band mit Notizen überflog? Ich verstand nichts und legte sie schnell ins Regal zurück, bevor die Freundin zurück kam. Einzig vertonte Gedichte von Heinrich Heine und François Villon, die ich auf zwei Langspielplatten in einer DKP-nahen Buchhandlung gekauft hatte, berührten mich. In ihren Gedichten klang Verzweiflung, Lebenslust und Einsamkeit nach. Ich begann mich mit Heinrich Heine und Georg Büchner zu identifizieren. Nicht weil ich ihr Werk schätzte, aus dem ich nur Bruchstücke kannte, sondern weil ich den Ungehorsam und Mut, die Renitenz und den Spott, kurz ihr Anti bewunderte, aber auch weil manchmal ihre Sensibilität und Verletzlichkeit einen Nachklang in mir fanden. Über die vergangene Zeit hinweg imaginierte ich eine seelische Nähe oder Verwandtschaft zu Heine und Büchner, fand in ihnen neue Helden, die ich in der Gegenwart nicht fand. Über Tobe entdeckte ich Sartre und Camus. Für Tobe war der Existentialismus eine Antwort auf die Frage, wie man sich der Verantwortung für Mensch und Gesellschaft jenseits bürgerlicher Moralvorstellungen stellen müsse. Im gesellschaftspolitischen Engagement läge die Freiheit. Tobe kritisierte Camus als fatalistisch, und Sartre und die Beauvoir schätzte er als aufrichtige bürgerliche Intellektuelle, die man in Westdeutschland vergeblich suchen würde. Meine Antwort auf den Existentialismus war zuerst nur Verunsicherung, weil ich nichts verstand. Ich spürte vage die Wahrhaftigkeit in dem, was Tobe über die existentialistische Freiheit und das Geworfensein erzählte, aber ich fand noch keine Worte dafür. Mir blieb nur, meiner Anspruchsliste ein weiteres Ziel hinzuzufügen und damit der Überforderung weitere Nahrung zu geben.
Aus meinem ersten eigenen Buch wurde übrigens nichts. Tobe und der Verlag stellten sich eine stringente Lebensgeschichte vor, anstatt loser Satiren. Das sei zu wenig für ein Buch. Ausnahmsweise verstand ich das nicht als Kritik, im Gegenteil, ich sah mich motiviert, sah den großen Wurf kommen, der meine persönlichen Erfahrungen sozusagen phänomenologisch deuten würde, in dem sich in ihnen die gesellschaftlichen Verhältnisse spiegelten. Ich versprach mir davon Anerkennung und Erkenntnisgewinn. Letztere sollte mir meine eigene Misere transparenter machen und mir so die ersehnte, befreiende Erleichterung meines verkorksten Lebens bringen.
Stopp! Ich schreibe das, als wäre diese Idee vom Himmel gefallen. Ich bin nicht damit geboren, das kann nicht sein. Erkenntnisgewinn, Bildung als Leidensbefreiung, Bücher als Rettung vor dem eigenen Elend. Wie bin ich auf diese Ideen gekommen? Warum habe ich lange Jahre so hartnäckig daran geglaubt? Habe ich irgendwann vor meiner Punkzeit einen Bildungsroman gelesen, von dem ich nichts mehr weiss? Ich wüsste es. Karl May kann es nicht gewesen sein. Von dem habe ich in meiner Jugend fasziniert zwei Romane gelesen und dann das Interesse verloren. Als in der Siedlung laut wurde, dass ich in die Stadtbücherei ging, um Bücher auszuleihen und mir tatsächlich auch die Zeit nahm, einige davon zu lesen, andere nur durchzublättern und einen Großteil bis zum Ablauf der Leihfrist unberührt zu lassen, da bekam ich gleich den Spitznamen Professor. Der hielt sich, solange ich mich weigerte (was selten war), mit meinen Kumpels nach draußen zu gehen und die übliche Dinge zu tun: Fussball spielen, Kriege gegen die Anderen aus den besseren Straßen führen, gelangweilt auf Spielplätzen und auf der Mauer einer angrenzenden Ziegelei sitzen, Keller erkunden und Obstgärten plündern, ab und zu einen schiefen Drachen steigen lassen oder mit Klapp- und Damenrädern die Kanäle der Region erkunden. Die ganz Durchgedrehten warfen zur Mutprobe auch Messer aufeinander, gingen illegal riesige Industrieanlagen erkunden oder büchsten für ein paar Tage aus, wenn die Eltern wieder unerträglich waren.
Ich wäre damals, ich wohnte noch nicht lange in der Siedlung mit den kinderreichen und abgehängten Familien, nie auf die Idee gekommen, in die Stadtbücherei zu gehen. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gab. Aber meine erste Klassenlehrerin in der Hauptschule, die wusste das. Die gute Frau Rudowicz, fast im Rentenalter damals, eine Seele von Mensch, später in der 8. Klasse mit Tränen im Unterricht, überfordert von lauten Jugendtieren, sie tat mir da sehr leid. Sie brachte ihre 5. Klasse zum Schulanfang zur Stadtbücherei die in der Nähe war und erreichte manche Anmeldung. Als ich erfuhr, dass es nichts kosten würde, bat ich meine Eltern, mich anzumelden. Ausserdem hatte mich ein auffallend postiertes Buch über Astronomie angezogen wie das Obst die Fliege. In den darauffolgenden Jahren war ich immer mal wieder dort, lieh mir Bücher über Astronomie, Wolken, Tiere und Steine, las eine Zeit Meeresabenteuer, entdeckte die Bücher von Meisterdetektiv Agaton Sax, die ich, wenn ich denn eines anfing, zu Ende las. Nach dem Lesen einiger Jugendkrimis hatte ich das erste Mal den Wunsch, selbst zu schreiben: Spannende Kriminalgeschichten. Ich nahm mir das ernsthaft vor. Leider war mein Kopf ernüchternd leer, erschreckend ideenlos war er. Schnell verwarf ich die Idee als Hirngespinst. Wie konnte ich mir einbilden, das zu können! Zum Glück hatte ich weder den Eltern noch meinen Geschwistern etwas davon erzählt. Die hätten mich für verrückt erklärt.
Einige Wochen lang war ich sehr häufig in der Stadtbücherei. Ich war verliebt in eine Angestellte mit blonden Bob. Sie sah ein wenig aus wie Doris Day und hatte ein freundliches Lächeln, das nur für mich da zu sein schien. Ich war 14 Jahre und ihre engen Pullover mit dem spitzen Büstenhalter darunter war mir lange eine willkommene Phantasie, um mich auf der Toilette, dem einzigem Rückzugsort weit und breit, zu schnellen Ergüssen zu inspirieren, wenn es für literarische schon nicht reichte. Ich weiss nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich mir in diesen Jahren über die Bücher nicht das Staunen, das immer wieder auch mutvolle Suchen und die Begeisterungsfähigkeit erhalten hätte.
Ich bin Frau Rudowicz dankbar. Sie war es auch, die mir zum ersten Mal die Erfahrung schenkte, aus echter Begeisterung gelobt zu werden für einen Phantasieaufsatz, den ich in der Klasse vorlesen durfte und der nicht ohne Anerkennung und Lacher blieb. Dass das ein Asozialer schreiben konnte, hatten einige der Arbeiterkinder, die sich als etwas besseres fühlten als die, die aus der Asozialensiedlung kamen, nicht gedacht. Vielleicht hat Frau Rudowicz damit auch den Keim gelegt für den immer wieder auftauchenden Wunsch, Erzählungen zu schreiben. Vielleicht hatte ich in dieser Zeit bereits eine Ahnung davon, das eine Gabe in mir schlummert, die ich nicht verkümmern lassen durfte, auch wenn sie weit und breit für niemanden einen Wert hatte, ausser für Frau Rudowicz.
Manchmal war die Stadtbücherei ein Rückzugsort, in dem ich Trost suchte. Sie lag am Rand des verrufenen Stadtteils an einer Straße, die schnurstracks zur Mitte der Stadt führte und auf der verdreckte Straßenbahnen mit staubigen Fenstern kreischten. Wenn ich die breite Tür der Stadtbücherei hinter mir schloss, knatterte das alte Holz und der Lärm der Straße wurde zu einem dumpfen Grummeln. Manchmal stand ich unentschlossen in dem kleinen Foyer oder verzog mich schnell zwischen den Regalen. Ein anderes Mal suchte ich gezielt das Regal Astronomie, in der Hoffnung ein neues Buch zu entdecken, das mir die Unendlichkeit des Universums noch faszinierender offenbaren würde. Mit diesen Büchern entdeckte ich die Wissenschaft, diese Bücher legten den Grund für die solide Überzeugung, dass in den Dingen, in der Natur, im Menschen selbst Wahrheiten und Gewissheiten schlummern, die das Chaos um uns herum bändigen. Und natürlich wollte ich ein Teil dieser Bewegung sein und dachte mir Theorien über den Sinn des Universums aus.
Ich erinnere mich an einem Abend bei meiner Tante, die Frau des quasi-sadistischen Onkels, der mich lachend über einen Abgrund gehalten hatte, als ich 5 oder 6 Jahre alt war. Bei ihnen verzog ich mich manchmal vor dem Krach meiner Familie, erduldete die immer versalzenen Suppen der Tante, ihr Ausfragen und nervtötendes Wiederholen von Tratsch; nahm ihre nervigen zwei Kinder in Kauf, die noch in die Hose schiessen und nachts manchmal elend lange schrieen, ohne dass sich jemand rührte, wofür ich der Tante den sofortigen Tod wünschte. Die Brut schlief endlich und ich erkundete den Motor eines alten Staubsaugers, den ich auseinander gebaut hatte und war sehr auf der Hut, nicht noch einmal einen schmerzhaften Stromschlag zu bekommen, der durch einen dicken Teppich gemildert gewesen war. Da überkam mich der Gedanke, dass es doch möglich sein müsse, unbekannte Signale aus dem All zu empfangen. Ich hatte zuvor eine Art Parabolantenne aus einem kaputten Heizgerät gebastelt, die ich an das große Kofferradio meines Onkels anschloss, um dann auf Kurzwelle nach Geräuschen und Stimmen aus dem All zu horchen. Fündig wurde ich nicht, stattdessen überkam mich eine Art Größenwahn, als hätte ich auf Anhieb das Geheimnis der Adamschen 42 entschlüsselt, eine Zahl, die ich erst viele Jahre später schätzen lernte. Was genau da in meinem Kopf abdrehte, erinnere ich nicht mehr. Aber die Vorstellung, völlig eins mit der Unendlichkeit zu sein, die sich mir offenbart hat und die ich in Worte fassen werde, um berühmt zu werden, die bleibt unvergessen; wie die Ernüchterung, die mich am nächsten Tag verzweifeln ließ, angesichts des kalten Elends bei Onkel und Tante.
Noch vor der Zeit der Stadtbücherei war ich fasziniert von den weißen Spiegelteleskopen, die in den Ladenlokalen von Optikern standen, ohne zu wissen, was sie in einem Brillengeschäft zu suchen hatten. Später wollte ich unbedingt ein Teleskop haben und ich hoffte, dass meine Konfirmation die über dreihundert Mark zusammenbringen würde, um das ersehnte Gerät kaufen zu können. Es gab ein Riesentheater, als ich nicht lange nach der Konfirmation mit einem riesigen Karton in der Küche auftauchte. Ich hatte ihn quer durch die halbe Stadt geschleppt und konnte es kaum erwarten, den Adromeda-Nebel in seiner ganzen Pracht zu sehen. Meine Mutter fiel aus allen Wolken, als sie begriff, für was ich das gute Geld aus dem Fenster geschmissen hatte. Schlagartig wurde ihr klar, dass alle ihre Bemühungen, mir angesichts der stets knappen Familienkasse unverschämt viel Geld abzuknöpfen, gescheitert waren. Sie zeterte noch Tage danach und erklärte mich immer mal wieder für verrückt und gierig. Mich scherte das einen Dreck. Ungeduldig baute ich das Spiegelteleskop auf, liess dabei beinahe das Okular fallen und begriff in den folgenden Tagen, wie Scheisse Wolken und Lichtverschmutzung sein können und dass der Adromeda-Nebel gar nicht so leicht zu finden war. In der Siedlung hielt man mich für völlig durchgedreht und keiner meiner Kumpels ließ sich dazu herab, mit mir auf den matschigen Acker neben der Siedlung zu gehen, um der vergangenen Vergangenheit ein paar Milliönchen Lichtjahre näher zu sein. Ich ließ mich nicht entmutigen und fand den Adromeda-Nebel, aber seine Pracht ließ zu wünschen übrig. Danach konzentrierte ich mich auf den Mond. Wenn der Mann im Mond dort spazieren gegangen wäre, hätte ich ihn sicher sehen können, so nah erschien mir das Gestirn, als ich mit meinem sperrigen Gerät auf dem engen Betonbalkon stand und aufgeregt nach meiner Familie schaute, um einen Augenblick des Teilens zu erreichen. Einmal schaffte ich es, meine Eltern vor das Teleskop zu locken. Meine Mutter schaute nur murrend und beleidigend kurz hinein. Mein Vater dagegen zeigte in alkoholbefeuerter Wärme echtes Erstaunen, hörte meinen begeisterten Erklärungen aber nicht zu. Stattdessen erzähle er die alte Geschichte vom Bau eines Radioempfängers einige Jahre nach der Flucht aus Polen, die er mit der Mutter kurz nach der Kapitulation beginnen musste. Er hätte lieber Radiotechniker als Bergmann gelernt. Dass er nach der Lehre praktisch nur noch als Hilfsarbeiter schuftete, erzählte er nicht, das war kein Geheimnis. Mein Vater lockte seinen verlorenen Stolz mit Sätzen in Endlosschleife, die keine Erzählung wurde. Er hob seine Erfolge in der Berufsschule hervor, was meine Mutter umgehend mit einem verächtlichen Angeber kommentierte. Das schien er nicht zu hören, vor allem wenn er gute Laune hatte. Dann stand er da, klein wie seine zähe alte Mutter, etwas verloren in seinem Grinsen mit nach hinten gekämmten, nie grau gewordenen Haaren und dicken rauen Arbeiterhänden mit vermackten Fingernägeln.
Nach dem Erfolgserlebnis auf dem Balkon, immerhin hatte wenigstens mein Vater einmal gesehen, über was ich immer wieder staunen konnte, verlor ich das Interesse an Astronomie und verkaufte das Teleskop mit erheblichem Verlust, um mir davon einen Bausatz für ein Segelschiff zu kaufen, dass ich selbstvergessen und penibel zusammenklebte und dem sich meine beiden jüngeren Brüder nur auf zehn Meter nähern durften, wollten sie nicht bedroht oder hart gepufft werden.
Interessant wurde damals für mich ein seltsamer Mann, der sich Gerald rief und der eines Tages mit einer verrosteten Ente, in dem das Chaos herrschte, in der Siedlung auftauchte. Ich sah ihn nie ohne kurze Hose und dem braunen ledernen Schlapphut, aus dem fettiges langes Haar quoll. Sein bärtiges Gesicht und die dürre Gestalt erinnerte nicht nur mich an Catweazle. Dieser Mann bekam recht schnell Hausverbot von der Stadtverwaltung, da er die Bewohner der städtischen Wohnunterkunft aufwiegeln würde. Das hielt ihn nicht davon ab, immer mal wieder aufzutauchen, um die Menschen aufzuklären über ihren Status als Bürger zweiter Klasse, die ohne Mietvertrag und Telefon und mit beschnittenen Bürgerrechten leben müssten. Wie er es anstellte, eines Tages auf einen Kaffee in unsere Wohnung eingelassen zu werden, weiss ich nicht mehr, er hat wohl meinen Vater beeindruckt. Meine Mutter sah in Gerald einen schlampigen Hampelmann, der endlich arbeiten gehen solle und den man unmöglich ernst nehmen könne mit seinem Gefasel. Gerald besass eine übermenschliche Beharrlichkeit. Er reagierte auf jeden Affront mit Gleichmut oder einem leicht gequälten Lächeln. Nichts hielt ihn davon ab, Informationen, die niemanden interessierten, weiterzugeben. Unbeirrt bot er an, sich an Aktivitäten gegen die Willkür der Stadtverwaltung zu beteiligen. Gerald hatte viel zu tun, denn in meiner Heimatstadt gab es gleich drei städtische Wohnunterkünfte, die stufenweise den Komfort herab- oder heraufsetzten, je nach dem, in welche Siedlung man umziehen mußte. Die unterste Stufe rief man Verbrechertal. In den kreuz und quer gelegen Blöcken aus Backstein und Beton wohnten Großfamilien in zwei Zimmern. Geduscht werden konnte gegen Entgelt an drei Tagen in der Woche. Die Bewohner nannten die kleinen Duschzellen Gaskammern. Wir hatten dagegen in unserer Siedlung drei Räume auf komfortablen 56 Quadratmetern und eine Dusche in der Wohnung. Für meine Mutter mit ihrem Sauberkeitsfimmel wäre das Verbrechertal eine Katastrophe gewesen und sie beschwor uns, nichts schwerwiegendes anzustellen, denn die Drohung der Stadtverwaltung, ins Verbrechertal ziehen zu müssen, wenn man die Hausordnung missachtete, war zwar eine reale, aber nur selten vollzogene. Mich kümmerte sie nicht. Ich entdeckte stattdessen Gerald. Sporadisch wurde er für mich zum Förderer eines politischen Bewusstseins. Ich begriff zum ersten Mal, dass mein Stigma als Asozialer in der Hauptschule und im Fussballverein nicht auf persönlichem Unvermögen beruht, sondern etwas mit Politik und Gesellschaft zu tun hat. Initialgezündet entstand ein Trotz und dann ein langsam wachsendes Empfinden, mich nicht mehr für die Siedlung schämen zu müssen und etwas in der Hand zu haben, was mit Geschick und Freiheit zu tun hat. Nicht zuletzt Gerald lebte mir das vor, obwohl ich nach aussen hin tat, als würde ich ihn nicht allzu ernst nehmen. Doch er zeigte mir, wie man Flugblätter machte, Filme mit Super 8 drehte und was man mit Fotos machen konnte. Er sprach immer wieder davon, dass wir uns in der Siedlung zusammentun müssten. Mit Gerald wurde mein Welt in der Siedlung über die Jahre größer. Nicht dass mein Bewegungsspielraum in diesen Jahren auf meinen Stadtteil beschränkt war, im Gegenteil, die ganze Stadt gehörte für uns zum Eroberungs- und Entdeckungsgebiet und wir fuhren nicht selten mit abgewrackten Fahrrädern und etwas Hartgeld ins Nachbarland, schlugen uns irgendwo eine Nacht durch und rennraldeten am nächsten Tag die vielen Kilometer wieder zurück. Im Sommer gab es danach noch garantiert ein Fussballspiel auf dem Bolzplatz, denn Bälle waren für uns unwiderstehlich. Der Bolzplatz mit den zwei Eisentoren und den fiesen kleinen Steinchen, die sich nicht selten in Knieen und Ellbogen bohrten, war vor allem in den Sommerferien so gut wie immer von pölenden Kindern und Halbstarken besetzt.
Mit Gerald gab es von Zeit zu Zeit andere Welten zu entdecken. Als ich mich mit zarten vierzehn Jahren von der Hitparade emanzipierte und den Rock und später den Blues entdeckte (mein zweiter Bruder, der nach mir kam, der Jochen, wir beide liebten Muddy Waters), nahm der unermüdliche Gerald mich mit auf die Universität, die ein Sommerfest feierte. Dort trat die Blues-Ikone Alexis Corner und seine Band auf, die aus vier weiteren Blues-Ikonen bestand. Meine ersten Schritte auf das Gelände der Uni schüchterten mich ein, am liebsten wäre ich geflüchtet. Studenten überall, das war wie ein Spießrutenlauf auf dem Parcour der grenzenlosen Minderwertigkeit. Gerald aber fand schnell Anschluss, sprach wildfremde Leute an, agierte und agitierte. Ich daneben, stumm wie ein Fisch; beschämt und in barer Angst, angesprochen zu werden; ja wütend dann auch, weil Gerald kein Ende fand und ich endlich den Bluesgiganten sehen wollte. Ich sah ihn, hörte die Band und vergass meine Totalbeklemmung, wurde getragen vom Groove und der Kraft der Musik, fand sogar den Mut, um ein Autogramm auf einem Cassetteninlay zu bitten. Auf der Cassette war seine Musik aus einem Rockpalastmitschnitt im Radio. Ich staubte sogar sein Plektrum ab, womit ich später vor meinem Bruder Jochen triumphierte. Mehr waren auch nicht da, die das hätte beeindrucken und neidisch machen können.
Später, ich war schon in der Ausbildung bei der Firma, die mehr Lehrlinge als Gesellen beschäftigte, fuhr ich mit Gerald im Winter durch die Zone nach Berlin. In einem abgewrackten R4. Gerald wäre damit auch um die Welt gefahren, so grenzenlos war sein Vertrauen. Das war scheinbar nicht berechtigt. Auf der Transitstrecke blieben wir im heftigen Schneegestöber stehen, wahrscheinlich kannte der Wagen auch nur Sommerreifen. Aber wir hatten Glück, eine DDR-Patrouille entdeckte uns, wenig später wurden wir zu einer Raststätte abgeschleppt. Dort mussten wir nicht lange bleiben, denn das Auto sprang plötzlich wieder an. Gerald wusste das natürlich, für ihn war es nur ein Frage der Zeit. Berlin selbst habe ich graublau und dunkel in Erinnerung. Wir wohnten bei Geralds Mutter, die ein kleines Haus in der Nähe der Mauer besass (!). Sie war klein, hatte ein tieffaltiges Gesicht und böse Augen und war alles andere als begeistert, dass ihr Sohn mit einem Halbwüchsigen auftauchte. Der schaute schüchtern aus seiner seltsamen Wäsche, hatte einem Cassettenrekorder vor dem Bauch und trug einen blauen Stoffhut mit ausgefranster Krempe wie einen Körperteil auf dem Kopf.
Berlin selbst war kein Abenteuer, die Zonengrenze langweilte mich. Wir standen auf einem Holzturm, sahen über die Mauer auf den schmalen Niemandsstreifen bis zur unmittelbar gelegenen und verrussten Häuserzeile und nichts passierte. Es zog, es war kalt und ich wollte nach Hause. Ich hatte Hunger. Hunger auf etwas Neues.
Und Tobe, weggeblasen von der Assoziationsturbine meines Hirns? Mit Tobe blieb ich im Briefkontakt, auch nach dem klar war, dass der Verlag meine Satiren so nicht veröffentlichen würde. Wie ich bereits andeutete, löste das einen Eiferanfall aus. Ich testete die kleine rote Olympia auf Gebrauchstauglichkeit, wie nie zuvor, um einen großen Roman zu schreiben. Aus dem großen Roman wurde nichts, den schreibe ich heute, 38 Jahre später. Von Tobe weiss ich nur, dass er sich den Antideutschen zuwandte und Psychoanalytiker wurde. Ein Kontaktversuch viele Jahre später blieb unbeantwortet. Ich hätte gerne seine Erinnerungen der damaligen Geschehnisse in den frühen 80er Jahren gehört. Und gerne hätte ich ihm persönlich gesagt, dass er, wie andere Menschen, die der Zufall mir brachte, zu meinem Bildungsglück gehört.
© November 2023 by Wandelkern Lesermail