Kleines

Es war ein früher Nachmittag und die Sauna war nur spärlich besucht. An der Theke der Gastronomie war der Eckplatz frei. Ich setzte mich dort hin und legte meine Tageszeitung und die Brille auf ein Halbrund ab, das zur Ecke der Theke gehörte. Daneben legte ich den weissen Zettel des Verwöhnprogramms, das mir meine Kinder zu Weihnachten geschenkt hatten.

Eine dickliche Frau, die 50 oder auch schon 60 Jahre alt gewesen sein könnte, arbeitete routiniert eine Bestellung ab. Die Arbeit ging ihr schnell von der Hand. Sie spülte die Weizengläser weg und fragte mich nebenbei, ob ich wüsste, wie das mit dem Verwöhnprogramm liefe. Ich verneinte. Gleich, sagte sie freundlich und scannte die weiteren Aufgaben in ihren Arbeitsbereich ab. Irgendetwas an ihr nahm ich als Müdigkeit war, was aber im Kontrast zu ihren schnellen Bewegungen stand. Ich wartete und ließ mir wenig später anhand der Karte erklären, welche Getränke und Speisen zum Verwöhnprogramm gehörten. Ich entscheid mich für einen Milchkaffee und eine Gemüsestange. Als beides vor mir stand, betrachtete ich argwöhnisch den Snack, der mich verwöhnen sollte. Schmeckt nur nach Salz, dachte ich und schlug die Zeitung auf. 

Wenig später kam ein rundlich wirkender Mann in einem weissen Bademantel an die Thecke. Er hatte eine Glatze und ein dickes Buch dabei. Bevor er noch saß, rief er ein ungeduldiges Hallo und schaute sich nervös um. Dass er keine Bedienung sah, die sich ihm sofort zuwand, schien jenseits seines Vorstellungsvermögens. Glücklicherweise kam die Frau gleich herbei und er bestellte umgehend einen roten Smoothie. Ich startete einen weiteren Versuch in einen Bericht über Sondierungsgespräche einzutauchen, als ich seinen Husten hörte. Er war hart, ja markerschütternd. 

Wenigstens hält er sich die Hand vor dem Mund, dachte ich und beobachtete ihn. Er tat, als lese er, schaute sich aber ausgiebig über seine Lesebrille den opulenten Hintern der eifrigen Frau an, die gerade die Spülmaschine ausräumte. Obwohl ich nur zwei Meter von ihm entfernt war, entdeckte ich nicht das kleinste Anzeichen einer Vorsichtsmaßnahme. Er wähnte sich vollendet getarnt und schien vor allem von ihrer Brust fasziniert zu sein. Endlich bekam er seinen Smoothie. Während er ins Buch sah, saugte er das rote Zeug aus dem Glas. Ich konzentrierte mich wieder auf meine Zeitung, der Mann riss mich aber mit seinem Husten immer wieder aus der Lektüre. Auch das geht vorbei, dachte ich. Ich begegnete den  aufkommenden Ärger mit Beobachtung und sah, wie der bedürftige Mann endlich zum Lesen kam, da die Frau im hinteren Bereich verschwunden war und ihr Kollege übernahm. Der Mann hustete noch einmal ausgiebig und ging so schnell wie er gekommen war. 

Ich atmete auf und blätterte mich durch das Weltgeschehen. Ich war grad zur Rubrik Wissen gelangt, da war der dicke Mann wieder da. Diesmal kam er mit nacktem Oberkörper, die Brust und der pralle Bauch voller Haare. Er knallte das Buch auf die Theke und bestellte unüberhörbar ein Mettbrötchen, ein Käsebrötchen und ein Pils.

Kleines oder großes, fragte die Bedienung.

Kleines, dröhnte er, wir fangen heute mal klein an.

© Mai 2023 by Wandelkern   Lesermail

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