Ohrfeige

Ohrfeige. Wie sie schepperte und von der Backe durch meinen ganzen Körper brannte wie eine rasende Zündschnur, die meine Seele bis in die tiefsten Verästelungen versengte. Diese Ohrfeige meines Lebens.

Sie kam hart, kalt, unerwartet. Es war Heilig Abend, als sie in das Gesicht des Jungen einschlug. Die harte, schwielige Hand der Mutter. Danach zerrte sie den Jungen am Arm ins Schlafzimmer und verschloss die Tür. Vorausgegangen war ein Streit zwischen den Brüdern. Das Geschenk des Bruders war das Geschenk, dass der Junge sich gewünscht hatte. Eine Looping-Bahn für die beliebten kleinen Autos aus Metall. Der Bruder hatte sie bekommen und der enttäuschte Junge durfte nicht mitspielen. Sein eigenes Geschenk beachtete er nicht, er sah sich belogen und benachteiligt. Den Protest bezahlte er mit Verbannung. Was fühlte er in der halbdunklen Kälte, im Schein der Straßenlaterne, die etwas Licht ins Zimmer warf, das als glänzender Schimmer auf der Tagesdecke lag? Diese wohlanständige Tagesdecke, die ohne eine Falte auf dem Ehebett lag als liege darunter die Ewigkeit. Was fühlte er? War er einfach nur betäubt durch die Wucht der Ausgrenzung? Eine Betäubung, die nie aufhörte, die bis heute wirkt?

Ich hatte lange keine Antworten. Ich fühlte lange nichts von damals, kein Schmerz, kein Selbstgefühl. Warum auch noch einmal alles durchleben, wand ich mich. Dieser kleine Junge, der ich war, der war so weit weg, der war mir so fremd. Sein Schmerz war nicht meiner mehr. Sicher war ich mir nur, dass ich lange auf eine versöhnende Hand gehofft hatte. Verzeihen erlebte ich aber nicht, ein Tut-mir-leid war nie über die Lippen der Mutter gekommen. Vielleicht war es mir deshalb lange unmöglich, in meinem Namen dem Jungen zu verzeihen und der Scham die hand zu reichen.

© März 2020 by Wandelkern   Lesermail

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